Sonntag, 22. Januar 2017

Winter




Winterminiatur

Die Hände der Kiefernzweige servieren runde Schneebaisers nur für mich. Ich laufe durch den Wald. Mein Herz singt zur Notenschrift der Schneegirlanden.
Ein Mann schultert einen toten jungen Baumstamm und ich verstumme.
An der Wegkreuzung am Waldrand wartet eine Krähe.
Ich gehe vorbei, denn ich vermisse eine vertraute Gestalt. Mein suchender Blick gilt allein ihrem fehlenden Umriss. Übersah ich sie im Schwarz des Gefieders?
Die fehlenden Antworten machen mich verletzlich. Die Dornen der Hagebutten ritzen mir die Haut wie die Krallen des Schicksals. Grashalme durchsticheln die Schneedecke und eine frisch genähte Fuchsspur malt blaue Muster ins blendende Weiß. Der Klang von Stimmen und Schlittenkufen trägt mich weit in die Kindheit.
Dann findet mich der Trost. Tief einfallendes Sonnenlicht erzeugt Diamantgefunkel. Hinter der kompakten Krone der freistehenden Kiefer hat der Wind ein hellbraunes Oval gezeichnet. Nur noch kurze Zeit verzögern die Widerhaken der Distelkämme meine Rückkehr.
Zum Glück warten die Bäume auf mich.



Samstag, 14. Januar 2017

Begegnung mit einer Malerin








Helene Holzman (geb. Czapski) wurde 1891 in Jena geboren. Die Malerin und Künstlerin heiratet den jüdischen Maler Max Holzman und folgt ihm nach Litauen, wo sie zwei Töchter bekommt, von denen eine der Verfolgung von Menschen jüdischer Herkunft zum Opfer fällt. Sie beschließt, ihre jüngere Tochter und möglichst viele Menschen vor dem Naziregime zu retten. Es gibt ein Buch von ihr: „Dies Kind soll leben: Die Aufzeichnungen der Helene Holzman, 1941-1944“.

Von der "Tante Greta" meiner Freundin, der Tochter Helene Holzmans, hatte ich schon viel gehört, letztes Jahr durfte ich sie kennenlernen. Die über 90jährige wirkte jung wie selten jemand. Unerschöpflich ihre Geschichten über die Vergangenheit. Großzügig lud sie uns, die sie noch nie gesehen hatte, zu sich nach Hessen ein. Meine Freundin, deren Nachname ebenso lautet wie der der Mutter Helene Holzmans, besitzt ein Bild der Malerin. Es hängt über dem Sofa, von dem aus man sowohl die Kiefern wie auch den Fluss und die zwei Eichen in den Wiesen hinter dem Fluss sehen kann. Wie das oben abgebildete Werk stammt es aus der Zeit vor dem Überfall der Nazis auf Litauen und dem Beginn der Leidenszeit von Frau Holzman und den anderen rassisch und politisch verfolgten Menschen. 
 
Ich bin froh, die Bekanntschaft "Tante Gretas" gemacht zu haben, ich bin froh, dass in Jena seit kurzem eine Straße nach ihrer Mutter benannt ist und ich freue mich, dass ich mit den Nachkommen befreundet bin!

Freitag, 13. Januar 2017

Maria





86 Minuten moderner Tanz zu den Klängen der Matthäus-Passion Bachs in der Choreografie des Hamburger Balletts auf ARTE! 

Mehrmals habe ich mir den Film und einzelne Passagen angesehen. Besonders die Maria hat mich berührt. Das Ensemble wirbelte durch die imaginären Räume und drückte die Freude über die Ankunft des Kindes, das Geschenk Gottes aus. Josef zweifelte, aber er stand zu seiner Frau. Hirten und Engel verbreiteten die Botschaft. Der Erzähler, ein Einzelgänger in Mantel und weißer Mütze bewegte sich durch diese Welt, ließ sich manchmal mitreißen und schwang sich ein in die Choreografie. Der Engel der Verkündigung zitterte strahlend weiß vor goldenem Hintergrund, Flügel aus Armen flatterten auf seinem Rücken.






Maria war unglaublich beeindruckend. Sie nahm ihr Schicksal auf sich. Ihre Gliedmaßen erprobten, sich darin zu bewegen. Sie rief ihren Körper immer wieder zur Ordnung. Ihr Gesicht hatte einen flehenden Ausdruck. Als das Kind auf der Welt war, war sie verzweifelt. Sie kreiste um es und liebte es, aber alles war schon da in ihren Gesten. Sie wusste, was ihm und ihr bevorstand! Ich sah sie tanzen und konnte es in ihren Bewegungen lesen. Schmerz.



Das Gefühl war wieder da, das ich selbst erlebt hatte. Schmerzvolles Sichergeben in den großen unverständlichen Plan und die Angst, die Kraft würde nicht ausreichen, das Schicksal zu tragen.






Dann sitzt Maria in ihrem blauen Kleid auf dem Koffer ihrer Reise. In den Armen wiegt sie das Kind, ein weißes gefaltetes Hemd. Die zu Beginn ihres Aufbruchs sorgfältig zu einem Pferdeschwanz gekämmten Haare liegen in Strähnen um ihr müdes Gesicht. Doch auf ihren Lippen zeichnet sich ein Lächeln ab, voller Hoffnung.


Montag, 2. Januar 2017

Hunger




Meine Freundin sagt, sie kann Leute nicht leiden, die sich immer über einen Ort beschweren und nichts dafür tun, dass es dort besser wird. Ich denke darüber nach, während im Ofen Kiefernholz verbrennt. Harziger Duft steigt aus dem Schornstein in den grauen Nebeldunst und wird von leichtem Wind in zarte Noten verwirbelt, die für einen kurzen Moment im Federkleid des Rotkehlchens haften bleiben.
Mein fragender Blick durchdringt die Fensterscheibe und fällt zwischen das Tor der beiden Kiefern auf den Silberreiher am Flussufer. Sein gelber Schnabel hat am Vortag so viel Sonnenlicht gespeichert, dass er leuchtet und in meinem Inneren eine Schale mit Wärme füllt. Endlich entspanne ich mich.
Die Erinnerung an den Fuchs auf meinem Morgenspaziergang taucht auf. Vor der Kulisse der bereiften Weiden zeichnete er sich dunkel und mit all der Beweglichkeit ab, die die Jagd auf Mäuse zu einem vollendeten Tanz werden lässt. Das Spiel seiner Ohren erzählte von den zahllosen Klangeindrücken, die er unaufhörlich mit seiner Welt verwob. Der Ruf des Reihers verband sich mit dem Aufsteigen der Krähen aus ihren Schlafbäumen. Das Singen der Luft in den Flügeln der Schwäne und das rhythmische Schwingen der Gänseformationen drangen zeitgleich mit dem Laubgeraschel des Winds und dem Springen der Fische im Fluss an sein Gehör. Auch das ferne Schlagen der Metallgießerei und die Autogeräusche waren Teil seines Lebensraums. Am nächsten war ihm jedoch das Trippeln der Mäusepfoten in den Gängen zu seinen Füßen. Er fing an zu graben, hob ab und zu den Kopf und witterte. Meine Füße waren kalt geworden und das leise Knistern meines Jackenärmels beim Verlagern des Gewichts von einem Bein auf das andere genügte, dass er aufsah und in den Wald floh.
Ich hatte ihn von der Futterquelle vertrieben und konnte später bei einem ausgiebigen Frühstück davon berichten, ein wildes Tier beobachtet zu haben.
Sicher ist er, hungrig wie ich, weiterhin auf der Suche nach Nährendem.