Samstag, 12. September 2020

Inspirationen aus Dresden

 



 

Sechs Menschen in einem Schweinestall legen ihre Hände auf ein Schwein

Bildrechte: Melanie Bonajo 

Ausstellung "Eine Schwalbe macht noch keinen Sommer", Neues Kunsthaus Dresden, noch bis 4.10.

Hinter einem Vorhang sind in leicht schrägem Winkel je drei Säcke Blumenerde aufgestapelt. Auf ihnen kann man Platz nehmen und einen Film von Melanie Bonajo ansehen. Es kommen vier Frauen zu Wort. Sie werden in der Umgebung gezeigt, in der sie leben und handeln. 

Alle vier sind ins Handeln gekommen und das ist es, was diese Arbeit für mich zur nachhaltigsten macht - noch Tage später stehen mir die Bilder vor Augen und rufen jedes Mal Mut und Zuversicht hervor. Der Film beflügelt mein Schreiben, seine Wahrheit fordert mich auf, ebenfalls in meiner Wahrheit zu leben und zu handeln. 

Im ersten Film zeigt sich eine Frau nackt in der Natur, verbunden mit ihr, ganz nah und ungetrennt. Einmal hat sie ein Kind bei sich, ein Mädchen, beide stehen im schattigen Halbdunkel unter Bäumen und kosten von den Früchten, die die Sträucher ihnen schenken. Dass die Mutter das Kind hochnimmt und ihm selbstverständlich die Brust gibt, drückt die ursprüngliche Verbundenheit aus, die uns „zivilisierten“ Menschen so sehr verloren gegangen ist. Man sieht sie nackt bäuchlings auf einem bemoosten Stamm liegen oder auf dem Rücken im Wasser treiben, was einem sehr nahe rückt, fast wie ein Angriff, man möchte das Gefühl von Ekel und Widerwillen abwehren, ausgelöst durch die Sorge vor irgendwelchen Insekten, die womöglich mit der ungeschützten Haut oder mit Körperöffnungen in Berührung kommen. Man erkennt, wie weit man sich selbst von der eigenen Natürlichkeit entfernt hat. Die Frau inszeniert sich und kommt einem dadurch nah, sie bringt Menschen dazu, in ihre Haut zu schlüpfen, die Sehnsucht nach dem Verlorenen, der verlorenen Verbindung auftauchen zu lassen, und sie führt selbst Menschen in den Wald, lässt sie hören, fühlen und schmecken. Die zweite Frau haben ihre Auseinandersetzung mit der Natur und der Weg hin zu biologisch ausgerichteter Landwirtschaft dazu gebracht, Schweine zu streicheln. Sie liegt neben und an den riesigen Körpern im Stroh und berührt sie. Die Tiere bekommen durch diesen anderen Blick auf sie ihre Würde zurück, man erkennt die der unseren so ähnliche Hautoberfläche, die Zitzen, das sich Wohlfühlen und vor allem ihre Entspanntheit, wenn sie in einer Umgebung leben und in sozialer Interaktion mit anderen Wesen sind. Eine riesige Sau liegt genüsslich ausgestreckt und völlig entspannt im Stroh. Drei gutgekleidete Männer in Anzügen und eine Frau im Kostüm knien hinter ihr und berühren mit ihren Händen den Körper, streicheln ihn sanft. Lackierte Fingernägel dürfen lackierte Fingernägel sein, alles darf sein, jedes Lebewesen hat Würde in dieser Begegnung. Offen und achtsam gehen die Menschen mit den Tieren in Kontakt. Die dritte Frau gibt Menschen ihre Würde zurück, benachteiligten Jugendlichen, Gefängnisinsassen, alles Afroamerikaner, die sie in Kontakt mit der Erde bringt. In einem genossenschaftlich organisierten Garten berühren Hände krümelige Erde, dicke Kinder ernten Blüten für Tee oder Gemüse, es wird gemeinsam gekocht und gegessen, wie in alten Stammesgesellschaften werden Geschichten erzählt. Es entstehen Verbindungen zwischen Menschen, es ist ein Ort der Wertschätzung, an dem ein Jugendlicher in dem Moment, als er barfuß läuft, an seine Großmutter denken muss und an das, was sie ihm mitgegeben hat. Der Kontakt mit der Erde, das sich auf sie knien und sie mit den Händen und Füßen berühren, bringt Heilung. Die vierte Frau ist eine junge Indianerin, die die Kultur, Sprache und Bräuche ihres Volkes wieder zum Leben erweckt. Sie steht in der steppenartigen Ebene, am Horizont berühren die Linien von Bergen den Himmel, und sie schlägt die Trommel. Der Ton ist eindringlich und fordernd. Er berührt mich als Frau, als ob er etwas in mir aufweckt, was seit Jahrhunderten da ist und nur geschlafen hat, der Rhythmus von allem, was ist, von meinem eigenen Herzen und seiner Verbindung zu anderen, damals, als wir in Gruppen unterwegs waren, um unsere Existenz vor allem durch Sammeln und Jagen zu sichern und als uns der Herzschlag der Erde noch vertraut war. Die junge Indianerin gibt vor allem Frauen und Müttern ihre Würde zurück. Wenn die Frauen geachtet werden, zuerst von sich selbst, dann auch von den Männern, werden auch die Männer sich wieder achten und die Welt kann eine andere sein. Sie ruft Frauen dazu auf, nicht mehr an der eigenen Selbsterniedrigung teilzuhaben, nicht mehr die Geschichten zu glauben, die sie über Jahrhunderte haben glauben lassen, weibliches Leben wäre wertlos.

©Barbara Biegel2020

Dienstag, 1. September 2020

dancing


Wenn sie aus dem Haus ging, nahm sie es mit, in ihrem Inneren und hielt sich fest an den Wurzeln, an der Quelle. Das schützte sie, selbst wenn sie in den Schwanenweiher starrte und zwischen den Seerosen das eine oder andere dicke Maul eines Karpfens erspähte, das sich krampfartig öffnete und schloss und jedes Mal den schwarzen Schlund freigab. Auch, als sie unter der alten Weide gegenüber des Mosthauses saß, auf einer der drei neuen Bänke, die man neben der unproportionierten Statue des Friedensmahnmals aufgestellt hatte, blieb sie ruhig. Sie fragte sich, wo sie diese Figur schon einmal gesehen hatte und es fiel ihr ein: in einem Traum, Wochen zuvor. Beide hatten sie Arme und Beine verloren, der eigene Leib und der aus Stein. 

Doch die Weide war schön, sie hatte sie nie so recht bemerkt, vor allem einsam kam sie ihr vor, ebenso einsam wie sie selbst und ebenso einsam wie der Kastanienbaum am Bahnübergang, an der sie kurz zuvor vorbeigelaufen war. Das gleichaltrige stattliche Wesen daneben war irgendwann abhanden gekommen.

"Im Jetzt sein!", rief sie sich zu, bevor sie traurig werden konnte. Im gleichen Moment sah sie die Winde. 

Alles an ihr lächelte.