Gute Nachricht Teil 1
Das
Radio sagt, die alpinen Gletscher schmelzen.
Endlich.
Ich erhebe mich.
Die
bereits entkleideten Berge erzittern. Sie wissen, ohne die eisige Umklammerung der
Gletscher werden sie bröckeln. Ihr Fieber steigt.
Die Berge werden
fallen. Bald ist es soweit. Ich stehe bereit.
Wind und Wasser züngeln
zu meinen Seiten.
Die
Berge erbeben. Gipfelkreuze und Kletterhaken rutschen von den Flanken mit
metallischem Ton. Steige und Schneekanonen poltern über graslose Skihänge nach
unten ins Tal.
Die
Berge stöhnen.
Steinlawinen
reißen ihnen tiefe Wunden. Goldadern platzen auf. Bergkristalle vermahlen die
Knochen der Murmeltiere mit den Hörnern der Gämsen.
Muren
fliehen bei der nächsten Erschütterung gemeinsam mit Almen und Bergwald zu den
Dörfern und Betten der Flüsse im Grund.
In
den Labyrinthen der Höhlen quetschen aufeinander gepresste Tropfsteine die letzten
unterirdischen Seen aus dem Gestein.
Endlich
zwingt anhaltender Schüttelfrost die Berge zu Boden. Sobald ihre Stirnen die
Becken der Wasserfälle berühren, platzen sie auf. Blut flutet durch Wasseradern
in Hohlräume und Stollen. Es dringt in jede Spalte bis in die feinsten
Verästelungen vor. Tief, bis in die Herzen aus Erz, frisst sich der Virus der
Auflösung.
Am längsten widerstehen
die Füße. Verwurzelt in der Schwärze des Urgrunds und durchströmt von roter
Glut, halten sie aus.
Bis ich das eisblaue
Wasser loslasse.
Brüllend löscht es das
letzte Pulsieren in einer grauen Wolke aus Pulver und Dampf. Krachend zerfallen
die Sockel zu Trümmern.
Da
springt auf mein Geheiß der Wind nach vorn und fegt über die letzten
Fundamente. Staub stiebt in alle Richtungen.
Als
der Wind sich wieder neben mich gelegt und das Wasser als Gewitterregen die
Luft gereinigt hat, umgeben mich Geröllhalden. Nichts ist mehr übrig von den jahrtausendealten
Erhabenen. Einige Schritte entfernt leuchten im Schutt die Farben bunter
Gebetsfahnen auf.
Ich
weiß, du hast die Berge geliebt, mein Sohn. Aber ich konnte sie nicht mehr
ertragen.
Gute Nachricht Teil 2
Hier
bin ich. Da ist der See. Und dort sind die Berge.
Mit
großen Füßen stehen sie unverrückbar in den Wiesen aus Hahnenfuß und Pusteblumen.
Weiß
leuchtet der Schnee auf ihren Körpern wie das weiße T-Shirt, in dem mein Sohn
mir im Traum erscheint.
Ihre
scharfen Umrisse schreiben Linien in den Abendhimmel, Botschaften für mich, die
ich zu entziffern versuche.
Da
wird es ruhig in mir. Die Berge sind mir nah. Mein Sohn hat sie mit seinen
Händen berührt. Tag für Tag streicht er als Wolke über ihr Gestein. Ein Hauch
aus Nebel steigt auf, um mich daran zu erinnern, wie zart seine Haut war. Feine
Regenfäden über fernen Gipfeln erzeugen in mir Fäden aus Liebe, die sich in
alle Richtungen ausbreiten.
Die
Dunkelheit kommt. Sie füllt die Schluchten mit Fledermäusen. Eine davon zeigt
mir den Weg zum See. Ich tauche meine Hand ins Wasser und fühle, die Berge,
mein Sohn und ich, wir sind verbunden.
Danke!
©Barbara Biegel