Sie
parkten auf dem empfohlenen Wanderparkplatz unweit des Ortseingangs, stiegen
aus und machten sich auf die Suche nach dem Baumlabyrinth. Auf einem breiten
Hauptweg liefen sie in den Wald. Links waren die letzten Häuser der Siedlung zu
erkennen. Nach 200 Metern bog ein Pfad ab und führte sie in eine relativ dichte
Pflanzung aus jungen Bäumen, alles Feldahorn. Zuerst schien es, als stünden
alle in schnurgeraden Reihen, dann kam eine Bank, bei der diese geometrische Ordnung
unterbrochen wurde und neben der sich ein Eingang aus enger gepflanzten
Exemplaren auftat. Sie hatten alle in zwei Metern Höhe neu ausgetrieben, an den
Stellen, an denen sie einmal eingekürzt gewesen waren. So war eine Art Tunnel entstanden,
ein Tunnel aus Baumgestalten mit wirren Haarschöpfen und mit der Aufforderung, einzutreten.
Sie
betraten den weichen, mit Laub bedeckten Boden des Labyrinths und liefen zwischen
den schlanken Baumgestalten, deren Füße moosbewachsen leuchteten, immer in
Schleifen um eine Mitte, der sie abwechselnd näher kamen und von der sie sich
dann wieder entfernten. Im Inneren des Labyrinths befanden sich anscheinend Leute,
zwischen dem dichten Gezweig waren die Farben von Kleidungsstücken zu erkennen und
Lachen zu hören. Es war seltsam, immer um diese Mitte zu kreisen, um irgendwelche
Leute, die sie ja bestimmt ebenfalls näher kommen sahen.
Sie
fragte sich, was in der Mitte des Labyrinths auf sie wartete. Sie sehnte sich
nach Verbindung, nach Leichtigkeit und Kontakt. Schließlich, nach der letzten
Runde, die sie am weitesten von ihrem Ziel weggeführt hatte als jede zuvor, öffnete
sich das Rund eines kleinen Platzes mit einem großen Tisch aus Sandstein, auf
dem ein Tuch mit Kaffeebechern und Kuchen lag. Dahinter wuchs ein junger Baum und
acht Frauen standen vor dem Stein im Kreis zusammen und unterhielten sich.
„Oh,
gibt es hier die Belohnung?“, fragte sie und trat an den Stein heran.
Die
Frau, die ihnen am nächsten stand, sagte: „Ja, nehmen Sie sich ruhig von dem
Kuchen, leider sind die Getränke schon alle.“ Sie hatte wache blaue Augen und
einen energischen Mund, der freundlich lächelte.
„Oh,
wir wollen Sie nicht stören“, entgegnete sie schnell.
„Sie
stören nicht, nehmen Sie ruhig etwas!“, forderte die Frau sie erneut auf. Die anderen
unterhielten sich zum Teil weiter, einige sahen her.
„Was
feiern Sie denn hier?“, fragte sie, wie um Zeit zu gewinnen.
„Meinen
Geburtstag“, antwortete die Frau, „den Kuchen hat mein Mann gebacken.“
„Oh,
dann herzlichen Glückwunsch!“, rief sie und hörte ihren Begleiter sagen: „Auch
von mir die besten Wünsche und immer ein gutes Herz und Humor.“
Sein
Gegenüber bedankte sich und lachte.
Hier
war es, dachte sie insgeheim, hier war das Süße im Leben, im perfekten Augenblick,
und man hatte es ihr angeboten.
Sie
sah zu ihrem Mann und fragte, hörbar für alle: „Meinst du, wir sollten uns
etwas teilen?“
„Ja,
gern“, antwortete er und nahm ein Stück Kuchen.
Beide
aßen und sie fühlte sich beschenkt. Doch das war noch nicht alles. Sie erfuhren,
dass die Frauen einer Tanzgruppe angehörten und als ihr Mann einwarf, sie wäre
Qigong-Lehrerin, stieß diese Information auf großes Interesse. Eine der Frauen
berichtete von ihren tiefgehenden Erfahrungen in einem Kurs, den sie seit Jahren
besuchte und schenkte jedem einen Smiley aus Metall, der golden glänzte und den
man als Chip für Einkaufswagen benutzen konnte. Sofort erkannte sie darin für
sich die Botschaft, in ihrem Leben für mehr Freude zu sorgen, trotz all der Schwierigkeiten,
in denen sie gerade steckte. Dann überreichte ihr eine andere Frau eine
Visitenkarte, in der es darum ging, dem Körper Aufmerksamkeit zu schenken, ein
weiterer Hinweis, der nur allzu berechtigt war. Das Geburtstagskind jedoch war
die tiefste Verbindung zum Großen Ganzen, es zeigte sich, dass sie Qigong bei demselben
Lehrer gelernt hatte wie sie selbst und plötzlich tauchte die Möglichkeit auf,
in Kontakt zu bleiben. Zettel und Stift wurden gesucht und Telefonnummern ausgetauscht.
Das größte Geschenk von ihr war das Interesse an ihrer Arbeit und die Frage, ob
sie eventuelle Kurstermine durchgeben würde und ob sie sich vorstellen könne,
eine Stunde zu geben. Überrascht und froh sagte sie zu und bedankte sich vielmals.
Als
alles gesagt war, verabschiedeten sie sich und beim Verlassen des Kreises hörten
sie noch eine Frau rufen, sie wären zur rechten Zeit am richtigen Ort gewesen, das
Universum habe für diesen Ausgleich gesorgt.
Zu
ihrem Mann sagte sie erstaunt: „Weißt du, an so einem Tag, mit dieser scheußlichen
Mütze und meinen verheulten Augen bekomme ich so ein Geschenk. Ich habe
gelernt, dass es egal ist, wie man aussieht und dass man nicht nur kämpfen muss.
Wenn es fließen soll, dann fließt es.“
©BarbaraBiegel2022