freitags
„Sie sagen, sie wären vernünftig geworden.“ Das Mädchen war eben
eingetroffen, seine Turnschuhe hatten sich einen flachen Platz zwischen den
vielen Wurzeln gesucht und in seinen ernsten Augen stand Hoffnung. „Und das
heißt?“ Die Bäume ringsum ragten groß und dunkel auf, durch die Kronen der
Buchen im weiteren Umkreis fielen Strahlen aus Licht ein. Das Mädchen sagte:
„Sie geloben, alles zu tun, was in ihrer Macht steht.“ „Was in ihrer Macht
steht? Nun, das wäre Einiges und war es schon immer und noch nie haben sie
danach gehandelt. Was haben sie denn angekündigt? Irgendetwas Greifbares?“ Das
Mädchen zog einen Zettel aus der Hosentasche, entfaltete ihn und las: „Wir werden
weniger Autofahren und weniger Fleisch essen.“ Ein feiner Windstoß bewegte die
Gräser und Brombeerranken am Boden, ein Vogel schrie. „So.“ Das Mädchen ließ
nachdenklich einen seiner Zöpfe durch die Hand gleiten. Dann sagte es: „Wir
haben uns beraten und beschlossen, ihnen zu vertrauen.“ In den folgenden
Minuten dehnte sich die Zeit ins Unermessliche, begleitet wie von einem tiefen
Ein- und Ausatmen. Schließlich war erneut die Stimme zu hören: „Gut. Es wird
Aufschub geben.“ Dem
Kind war die Erleichterung anzusehen. Einer der wenigen, noch lebenden Schachbrettfalter
kam aus dem Nirgendwo und umflatterte seine Füße. Es verneigte sich achtsam zum
Abschied und war bereits einige Schritte gegangen, um die Botschaft mit Anderen
zu teilen, als plötzlich eine Frage im Raum schwebte: „Sag uns noch, wie kam es
dazu? Was ist geschehen, dass sie sich erkannten? Dass ihnen ihr Anteil und
ihre Nachlässigkeiten bewusst wurden?“ Das Mädchen blieb stehen und wandte den
Kopf. „Durch ein Gedicht“, sagte es. „Wir haben ihnen ein Gedicht vorgetragen.
Wir haben es auf alle Häuserwände geschrieben und es fuhr auf Zügen durch die
Nacht ins ganze Land. Es wurde in Zeitungen veröffentlicht, durch Lautsprecher
verkündet und im Internet verbreitet. Sie konnten ihm nicht entgehen.“ In dem
Schweigen, das eintrat, schien das Gesagte in Moose und Rinden einzudringen und
alle Zwischenräume aufzufüllen. Dann fragte die Stimme tief und wie mit dem
Glucksen von Wasser in den Silben. „Was sind das für Worte, die heute noch ihre
Kraft bewahrt haben? Wurde nicht längst alles zerredet, wurde nicht alle
Wahrheit mit Füßen getreten und sämtliche guten Absichten gegen den Sinn
verdreht? Sage uns dieses Gedicht auf.“ Das Mädchen kam zurück, nahm eine
ebenso aufrechte Haltung ein wie die gerade gewachsenen Stämme der Douglasien in
seinem Rücken, und begann.
Kehrt um. Noch ist Zeit. Macht euch auf den Weg. Nehmt eure Irrtümer zurück. Tut, was euer Herz zum Singen bringt. Geht zu den Bäumen und lasst euch berühren. Liebt. Handelt. Jetzt.
Nach einem Moment der Stille wiegten sich die Bäume, als hätten
die Worte auch sie berührt. Ein Zapfen fiel dem Mädchen vor die Füße wie ein
Geschenk. Es bückte sich und hob ihn auf. „Danke!“, rief es in den Wald, und fügte lebhaft hinzu: „Kennt ihr das Buch, in
dem die Bäume sich aufmachen und aus dem Wald kommen, um für die Welt einzustehen?
Um das ihre beizutragen? Ohne die die Geschichte nicht gut ausgegangen wäre und
das Dunkle den Sieg davongetragen hätte?“ Nadeln und Blätter rauschten. „Ihr wisst
Bescheid!“, rief das Mädchen. „Die Demos sind immer freitags, weltweit! Wenn die Erwachsenen halten, was sie versprochen
haben, und wenn ihr mithelft, dann kann es noch gelingen, die Erde zu retten.
Denkt dran!“
©Barbara Biegel 2019
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