Wunschtraum
Ich bin auf Negros. Boy begrüßt mich,
schüttelt mir die Hand und sieht mir lange in die Augen, als suche er Williams
Gesicht und Ausdruck in meinem. Ich kann es kaum glauben, ich stehe an dem Ort,
der meinem Sohn so viel bedeutet hat. Ich spüre den warmen Wind, höre das
Brüllen eines Wasserbüffels und die schlagenden Kolben der Pumpen hinter dem
Haus. Ich sehe mich um und denke, diesen Baum hat William auch schon gesehen
und vielleicht hat er ihn sogar berührt. Ich gehe hin und fasse an den hellen
Stamm. Tränen steigen in mir auf, doch Boy zieht mich sacht am Ärmel und ich
folge ihm durch den Hof auf die Straße. Er möchte mit mir all die Wege gehen,
die er mit William gegangen ist. Er erzählt mir dabei in dem einfachen Englisch,
das auch mein Englisch ist, dass er dabei von ihm erfuhr, es gäbe Länder mit
Bergen aus Eis. Er führt mich auf den schmalen Pfaden durch die mannshohen Zuckerrohrfelder
zu den Teichen. Sie reihen sich aneinander wie Perlen an einer Kette und am
Ufer des vorletzten Fischteichs setzen wir uns auf die Bank unter dem großen
Mangobaum. Wir schauen den Vögeln nach, die sich zu den bewaldeten Hängen aufschwingen
und schweigen. Ich bin glücklich, hier zu sein. Der Duft von Zitronengras weht von den Hügeln heran. Am Nachmittag will Boy mit mir im
Jeepney zu dem Dorf fahren, in dem die Hütte steht, in der William gelebt hat.
Ob ich auf einen der inzwischen erwachsenen Hundewelpen treffe, die er damals
fotografierte? Oder auf eines der Kinder, die dichtgedrängt auf der Bambusbank
saßen und auf seinen Laptop schauten? Auf jeden Fall werden dort Leute sein,
die ihn kannten, und sicher auch einige, die auf der improvisierten Trauerfeier
waren, nachdem sie durch Zufall von Williams Tod erfahren hatten, mehr als ein Jahr danach.
Wenn dann noch Zeit ist, möchte ich gern noch an den Strand. Ich will im Sand
sitzen und dem Rauschen zuhören, ich brauche Zeit, um alles, was ich gesehen, gehört und
gefühlt habe, in meinem Inneren hin und her wenden.
©Barbara Biegel2019
Mein Sohn war 2012 als Freiwilliger im Rahmen von "Weltwärts"der Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GIZ auf den Philippinen in einem landwirtschaftlichen Projekt engagiert
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