Donnerstag, 17. April 2025

Be-Deutungen

 

Ich hätte nie gedacht, dass mir der Garten einmal so viel bedeuten würde. Schon als ich ihn das erste Mal sah, kam mir Händels Text in den Kopf:

Ev'ry valley shall be exalted, and ev'ry moutain and hill made low; the crooked straight and the rough places plain.


Ganze Tage verbrachte ich in der Hütte, zwischen Gewächsen, die jemand vor langer Zeit gepflanzt hatte. Vertraut mit den Besuchern des Gartens, ihren Gesängen, Fährten und Losungen fühlte ich mich als Teil der Natur. Und lernte von ihr.

Über allem lag die Wolkendecke, manchmal leicht, manchmal dicht und schwer.

Hütte, Bett, Ofen und Kerzenwachs begleiteten mich durch die Nächte. Der Fuchs lief am Zaun entlang und warf Blicke durchs Fenster. Der einzige Hase der Gegend stattete der Wiese Besuche ab und über allem leuchtete der Goldregen. Mäuse tanzten mir auf dem Kopf herum, wenn ich einen Brotrest im Regal vergessen hatte. Die Schlange zeigte sich, wenn ich sang. Sie kroch unter der großen alten Ligusterhecke hervor, die sich im Lauf der Zeit, von niemandem beschnitten, zur Seite geneigt hatte und sowohl die Hütte als auch das Lagerfeuerrund vor aller Augen verbarg. Zusammen mit Waldkauz und Mond betrachtete ich die Flammen, bis zuletzt das rote Glühen im Steinrund übrigblieb: Die Große Stadt. Wer war dort noch auf, in welchen Vierteln funkelten noch Lichter?

Vor dem Schlafengehen ging ich die paar Stufen zu dem einzeln stehenden Klohäuschen hinunter –bei offener Tür konnte man in das Grün des Waldes schauen. Darüber zeigten sich nach Einbruch der Dämmerung in immer wieder neuer Position die Sterne: das Sommerdreieck, der Große Wagen, der Jäger Orion.

Und ich erinnere mich. Auf dem Klo sitzend wiederholte ich leise vor mich hin singend in einer beschwörenden Bejahung die Zeilen Händels: we shall all be changed.

 

©BarbaraBiegel 2025


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