Donnerstag, 3. April 2025

Steine

 

„Es gibt Zeiten, wo die Zerbrechlichkeit alles Lebenden so offensichtlich ist, dass man jeden Augenblick auf einen Stoß, Sturz oder Bruch zu warten beginnt. Man fängt an, mit Schicksalsschlägen zu rechnen.“ Das schreibt Siri Hustvedt in ihrem Roman „Der Sommer ohne Männer“. Ich mag das Buch, das sich so persönlich an die LeserInnen wendet, das einen so liebevollen Blick auf eine junge Familie, alte Eltern, Ehemänner, junge Mädchen und nicht zuletzt auf sich selbst, die Ich-Erzählerin richtet. Sie scheut sich weder vor Gefühlen noch davor, Verantwortung zu übernehmen und Dinge anzusprechen.

Die Zerbrechlichkeit alles Lebenden, dazu gehört für mich immer auch der Blick auf unsere Ängste, auf die Psyche der Kinder und Heranwachsenden, auf die politischen Veränderungen und vor allem auf die Natur. Sie spiegelt uns am deutlichsten, wie es um uns steht.

Ich werde im Sommer zum dreizehnten Mal umziehen. Erneut geht es ums Loslassen, diesmal bin ich noch großzügiger als die letzten Male – es soll, wenn möglich, das letzte oder vorletzte Mal sein. Man weiß nie. Jedes Ding wird in die Hand genommen und entweder als Mitnehmens-würdig, Gebrauchtwarenhof-würdig, Flohmarkt-würdig oder wegwerf-würdig erachtet. Die Dinge üben Macht über uns aus – das wird mir vor allem bewusst, wenn ich die Widerstände wahrnehme, wenn es darum geht, meine gesammelten Steine „aufzugeben“. Für viele werde ich in der Gegend des neuen Wohnorts einen guten Platz finden, doch ab und zu ertappe ich mich dabei, wie ich das eine oder andere Exemplar wieder aus der Schachtel nehme, die für den Umzug bereitsteht. Es ist weniger der Fundort der Steine, der mich mit ihnen verbindet, es ist ihre Form, die Glätte und besonders die weißen Quarzbänder, die die Brüche der Erdgeschichte in sie eingeschrieben haben wie die Linien einer Zeichnung. Auch diese Linien erzählen von Zerbrechlichkeit, sind sie doch in einem Moment entstanden, als unter großem Druck Teile zusammengefügt wurden, die vorher großer Druck hatte bersten lassen. Und die Steine verkörpern für mich die Zeit, denn es sind meist Flusskiesel, die über lange Zeiträume rundgeschliffen wurden.

Über meinem Schreibtisch ist folgender Text zu lesen (AutorIn unbekannt):

Von allen Kreaturen in diesem Universum haben Felsen die größte Begabung, an ihrem Platz festzuhalten. Das heißt nicht, dass sie sich nicht bewegen, sie bewegen sich, aber sie schaffen es, ihren Platz zu behalten, ihr Gewicht, ihr Zentrum.

Gib dem Teil in dir nicht nach, der sagt: Ich bin nicht gut genug! Sei ein Fels!

 


Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen