Zwei Kapuzinerkressepflanzen streckten sich in einem runden Pflanzgefäß am Balkon zum Licht. Zuerst stellte die Geranie zwischen ihnen das Blühen ein. Sie ließ ihre drei dunkelroten Kugelblüten braun werden und abfallen. Daraufhin brachten die beiden Kressen eine Vielzahl lotosförmiger Blattteller an hohen Stängeln hervor, die mit ihren Spinnennetzen die Helligkeit einfingen. Die rechte Pflanze hatte von Anfang an Konkurrenz: Gleichzeitig war eine Winde gekeimt und wuchs gemeinsam mit ihr heran, im steten Versuch, sich an ihr festzuhalten und sich über sie zu erheben. Die Bedrängte setzte Blüten an.
Helle lachsrote, sonnengelbe und feuerrote Trichter schrien ihre Hilferufe in alle Richtungen, während die linke Pflanze, ohne Knospen anzusetzen, an ihren winkeligen Blattgirlanden weiterarbeitete, ungestört und vielleicht auch ungerührt.
Kaum
hatte sich eine Blüte geöffnet, wurde ihr Hals von den Ausläufern der
Schlingpflanze umklammert. Ein Kräftemessen begann, das der Kresse viel
Substanz kostete, weshalb einige Blätter gelb wurden und abfielen.
Wie
wird das Leben im Pflanzgefäß weitergehen?
Wie lange kann die Früh-Erblühte sich noch halten?
Wird
die Schlingpflanze sie töten?
Wird in der Erde genug Nahrung für die
Zuspätkommende sein, um Blüten zu treiben?
Wie schnell werden meine
Erinnerungen an die Farben der Blüten erlöschen?
Noch
stehen die runden und die herzförmigen Blätter gleichberechtigt nebeneinander,
aber schon zeigt die Spitze des Windenblatts durch das Fenster auf mich und beschuldigt
mich, für alles verantwortlich zu sein.
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