Mittwoch, 22. Januar 2025

Im Traum

 

"Mein Herz", Collage 2012

 

Im Traum der Nacht habe ich mich angeboten, 17 Bücher mit Schutzumschlägen zu versehen. Ganz deutlich die Stückchen klarer transparenter Tesafilm, mit denen ich die eingeschlagene Folie festklebe. Eines davon bleibt übrig, zur Verdeutlichung oder als ob es auf die nächste Aufgabe wartet, in der diese Klarheit und Transparenz nötig sein wird. Ich klebe es an die Tischkante.

„Die 7 bedeutet Wandlung, Verwandlung“, sagt mein Traumbuch. Und die 10 „Ganzheit“. Ich bin also auf einem guten Weg, denke ich, während mich ein Hustenanfall schüttelt. Die Grippe hat mich ins Bett genagelt. Seltsam, dieses Herausfallen aus dem Arbeitsrhythmus, tagsüber schlafe ich und nachts höre ich Lesungen und Vorträgen zu.

Den Traum träumte ich zu einer Zeit, in der mich sonst längst der Zug in die Arbeit trägt, auch in ihm biete ich mich zur Arbeit an und zwar bei einer Frau, bei der ich damals in J. putzte. Ihr Sohn sitzt daneben, ist mindestens zwanzig Jahre älter. Scheinbar hat meine Erinnerung diese Zeit sehr weit zurück verortet. Die Bücher, mit denen ich zu tun habe, sehen aus wie Lehrbücher, sind in kühlem Gelb-Grün gestaltet, umfassen viele Seiten Schreibmaschinentext. „Grün steht für die Lebendigkeit und Frische in uns“, lese ich im Traumbuch, „doch kann grelles Gelb auf die Zerrissenheit des Geistes hinweisen“.

Bestimmt hat die Lesung der Nacht sich ausgewirkt: J.S. las aus ihrem neuen Roman. Der Erzählton berührte mich, war mir sehr nahe gerückt. Und ich hörte (nicht das einzige Mal in dieser Nacht) von Schreibstipendien, Schreib-Schulen, von der Weitergabe kreativen Schreibens an Studierende. Nie bin ich solche Zusammenhänge gekommen. Oft habe ich das Feld meines künstlerischen Handelns gewechselt, spät fand ich zu den Worten, zum Schreiben. Resonanz in einem institutionellen Rahmen zu bekommen scheint mir schon immer ein Geschenk für das künstlerische Wachstum zu sein – doch man muss sie auch hören und umsetzen können. Das gilt für jede Resonanz. Konnte ich sie wahrnehmen? Als „Nebelkind“ war meine Energie lange anderweitig gebunden.

Im Traum scheint etwas Wichtiges auf: Meine Bereitschaft, mit Geschriebenem zu arbeiten, es zu schützen, zu verwandeln, trotz aller Zerrissenheit. Ich erwache mit großer Klarheit.

"open heart" 2024




 

Freitag, 17. Januar 2025

Warten

 



Gott wartet. Ihm scheint, dass er noch sehr viel Geduld brauchen wird. Oft hat er keine Lust mehr.  Er merkt es daran, dass ihn ein komatöses Gähnen überkommt, ein allgemeiner Erschöpfungszustand, der all seine konstruktiven Gedanken auslöscht und ihn in einer Orientierungslosigkeit zurücklässt, die sich gewaschen hat.  Sogar Gott hat dann einige Zeit zu tun, sich wieder auf den alten Stand zu bringen, seine Einstellungen zu sortieren, seine Hoffnungen wieder um sich zu versammeln, Pläne zu machen,  Post-Its zu schreiben und die Ziele darauf mit Markern zu umranden.

Manchmal fühlt er Ärger in sich aufsteigen und denkt, es ist nichts als eine Sisyphusarbeit, auf die Verhaltensänderung von Menschen hinzuarbeiten. Dabei steht ihnen alles zur Verfügung, ein großes Herz voller Liebe, starke Körper, die Fähigkeit zu lachen. Sie haben die Tiere an ihrer Seite und tausend schöne Kleinigkeiten, die wie geschaffen  dafür sind, ihnen Freude zu machen.  Wolken, elektrische Wasserkocher, Worte und Weihnachten. Engel, Erdbeeren und Eulenrufe. Heldenreisen, Hausdächer, Hunde und der Geruch von Heu. Die Menschen haben so vieles. Doch sie haben auch Angst. Ihnen fehlt das Vertrauen. Sie haben vergessen, dass man sich dafür entscheiden muss. Wie auch für das Glück. Bequemlichkeit ist ihnen wichtiger.

Gott wartet.



Freitag, 3. Januar 2025

Beschreibung


 

Meine Haarfarbe ist mehr weiß als grau. Nach dem Friseurtermin sieht meine Frisur immer sehr gut aus. Meist fallen die Haare glatt herunter, manchmal bilden sich Wellen.

Schon immer wollte ich ein anderes Gesicht haben. Meines ist rund, knubbelig, hat eine Kerbe am Kinn und ein breites Grinsen. Je älter ich werde, desto mehr Arbeit macht es, die Mundwinkel nicht hängen zu lassen. Ich habe mal die Direktorin einer Schule bewundert, sie sah vom Typ her so aus wie ich und wenn sie etwas sagte, war es, als würde ein Licht angeknipst, so eine tolle Ausstrahlung hatte sie. Ich weiß nicht, ob ich jemals dahin komme. Dann habe ich noch Schlupflider, wie Mama, aber nicht ihre blendend weißen Zähne.

Meine schönsten Grübeleien gehören der Kunst. Sie erschaffen Geschichten zu meinen Kunstwerken. Angefangen hat es mit den Holundern, die haben mir viele Grübeleien geschenkt. Dann Filme und zuletzt das Schreiben. Ich bin nämlich Künstlerin.

Von hier aus sieht alles ein bisschen wackelig aus. Das passt zu meiner wackeligen Seele. Sie spiegelt sich in meinen verdunkelten Augen.

Entgegen meiner Erwartung bin ich Optimistin. Ich weine zwar viel, wenn mir das Schicksal wieder was vor die Füße wirft, doch das schwemmt nur die Stresshormone raus - am Ende fügt sich alles und wird gut. Man muss die Schnipsel nur aufheben wie Landschaften mit den Augen.

Im Hauptberuf bin ich gerade Schulbegleitung. Da muss ich schnell sein und wendig und starke Armmuskeln haben zum Festhalten. Aber auch hier bin ich Künstlerin. Ich kann alles verwandeln.

Ich entdecke Zeichen. Überall. Und Falken. Darin bin ich besonders gut.

Geruchsallergisch bin ich auf kalten Blumenkohl. Dann halte ich den Atem an.

Zu meinen Freunden zähle ich Bäume.

Beim Ticken einer Kuckucksuhr denke ich an Holzbänke um einen Holztisch in einem niedrigen Raum mit Deckenverkleidung, sehr gemütlich. Ich denke daran, dass Vergangenheit einen Wert hat. Und an Schwarzwälder-Kirschtorte.

Ich trage weite, bequeme Hosen und laufe im Sommer viel barfuß. Rosa Oberteile stehen mir, ich ernte Lächeln und Blicke. In der warmen Jahreszeit bin ich oft am Wasser. Ich bin Expertin im Pause machen. Meine Haut schimmert samtig, die Intoleranzen gehören der Vergangenheit an. Manchmal gebe ich meine Erfahrungen weiter und stehe auf Podien. Aber das mache ich nur, wenn ich angefragt werde, es ist mir nicht mehr so wichtig wie früher.