Lebenslinien im BR: Die Kunst, es anders zu
machen
Eine Dokumentation von Julia Grantner
Der Film über meine Freundin Bernadette hat
mich sehr berührt. Ihr Gesicht, ihr Lachen, ihr Humor und ihr Wortwitz, ihre Geschichte.
Vor über 40 Jahren haben wir uns an der Kunstakademie kennengelernt. Zwischen unseren
Treffen konnte viel Zeit vergehen, als Ersatz gab es Briefe. In der Kameraführung
des Films finde ich etwas von der Art unserer Beziehung, manchmal über die Ferne,
zwischen Gräsern hindurch, manches in Ruhe betrachtet und geteilt, aber unausgesprochen.
Beim Anblick des Hauses, in dem ich sie einige
Male mit den Kindern besucht habe, werde ich in eine Zeit versetzt, in der wir
gemeinsam versuchten, Kinder und Kunst unter einen Hut zu bringen und uns in einem
Haus, in einem neuen Leben einzurichten, sie an der Donau, ich an der Zenn. Unsicherheiten,
Existenzängste, aber auch die Fähigkeit, mit der Kunst Geschehnisse zu verwandeln
sowie innere Stärke haben uns begleitet. In den Briefen, die sie mir damals
schrieb und die ich aufgehoben habe, finde ich Kreativität, Witz, Erkenntnisse
und Appelle, die Mutterrolle mit Selbstbewusstsein auszuüben, zum Wohl der
Kinder. Früh macht Bernadette mir die politische Dimension sichtbar, kritisiert
Konsum- und Konkurrenzdenken, die vom Eigentlichen ablenken und innere Entwicklungen
verunmöglichen. Im Strudel des Alltags haben mich ihre Botschaften damals wenig
oder gar nicht erreicht. So haben wir alle unsere blinden Flecken und unsere Kinder
ihre eigene Geschichte, von Anfang an.
Das uralte Haus mit den Papiersternen in
jedem Fenster mochte ich gern. Besonders den Baum davor, der nach wie vor seine Schatten auf die helle Fassade wirft. In der Küche hatte Bernadettes
Mann den Boden unter den Dielen ein Stück ausgegraben, neu gedielt und so für
mehr Raumhöhe gesorgt. Abends ging jemand nach draußen und schloss die Fensterläden
für die Nacht. Im Gang roch es nach selbstgemachtem Käse, der Badeofen wurde
mit Holz beheizt, die Zimmer wirkten dunkel und geheimnisvoll mit all ihren
besonderen Gegenständen. Es gab einen winzigen Hinterhof mit etwas Grün. Über allem
wachten die Augen einer Katze mit getigertem Fell.
Hinter der nächsten Häuserzeile strömte die
Donau und wenn man die große Brücke überquerte, kam man nach einem im Wald
steil ansteigenden Pfad zum Sieben-Brückerl-Weg, einem meiner Lieblingsorte.
Mit etwas Glück zeigen sich Flusskrebse im Glimmersand und jede der Brücken über
den klaren Bach zeigt ihre Ziffer her, auf der Bernadettes Sohn damals kontrolliert
hat, ob es auch wirklich sieben Brücken waren.
Dann der Kontrast nach Bernadettes Trennung
und Auszug. Die neue Reihenhaus-Wohnung, alles lichter und luftiger, wir saßen
auf dem Sofa und lachten über „Ice Age“, im Nachhinein kann ich die Anspannung
erkennen, die die ganze Familie ergriffen hatte. Eine ganz eigene Welt bot das
Atelier, man betrat es in einer schmalen Altstadt-Gasse, die zum Fluss führte,
stieg die vielen Treppen hinauf bis in das geräumige Oberlicht-Atelier, das
Farbe und Freiheit atmete. Immer gab es Figuren in Bernadettes Malerei. Ich
liebte die frühen Pastellkreide-Arbeiten auf Sandpapier, die mit ihrem dichten Farbauftrag
zeitlose Innigkeit heraufbeschworen, Vater/Mutter/Kind, fast religiös erzählten
sie von der Sehnsucht nach Heil- Sein, nach Ganz-sein. Die Schwingungen der Farben,
die einem so viel Kraft geben können, mäandern durch den gesamten Film und
tauchen alles in Wärme. Ein starker Kontrast zu dem tieftraurigen Kindergesicht
auf den Schwarz-Weiß-Fotografien der 60er Jahre. Eingefangene Vergangenheit wie
die winzigen Schneckenhäuser in ihrem kleinen Glasfläschchen im Atelier, bei
dessen Anblick meine Sammelleidenschaft nach diesen nur in der Donau vorkommenden
Wasserschnecken erwachte. Beim letzten Besuch vor zwei Jahren ließ mich der
Fluss viele von ihnen finden.
In der Dokumentation kann ich sehen, wie
sich das künstlerische Werk verdichtet hat, wie Künstlerin und Werk sich
angenähert haben, beide kraftvoll, beide zart, beide Körper und bewegend, beide
mit Tiefe. Mein Bild von ihr, eine gute Mutter gewesen zu sein, hat sich nicht
ins Gegenteil verkehrt - ihre Kinder haben eine wunderbare Ausstrahlung und
liebevolle Art.
Ein ruhiger Film in warmen Farben und mit weichem
Licht, der einem Zeit lässt und mit der Erlaubnis, uns selbst zu verzeihen, ins
Offene führt.