Mittwoch, 21. August 2019

freitags

freitags
 
„Sie sagen, sie wären vernünftig geworden.“ Das Mädchen war eben eingetroffen, seine Turnschuhe hatten sich einen flachen Platz zwischen den vielen Wurzeln gesucht und in seinen ernsten Augen stand Hoffnung. „Und das heißt?“ Die Bäume ringsum ragten groß und dunkel auf, durch die Kronen der Buchen im weiteren Umkreis fielen Strahlen aus Licht ein. Das Mädchen sagte: „Sie geloben, alles zu tun, was in ihrer Macht steht.“ „Was in ihrer Macht steht? Nun, das wäre Einiges und war es schon immer und noch nie haben sie danach gehandelt. Was haben sie denn angekündigt? Irgendetwas Greifbares?“ Das Mädchen zog einen Zettel aus der Hosentasche, entfaltete ihn und las: „Wir werden weniger Autofahren und weniger Fleisch essen.“ Ein feiner Windstoß bewegte die Gräser und Brombeerranken am Boden, ein Vogel schrie. „So.“ Das Mädchen ließ nachdenklich einen seiner Zöpfe durch die Hand gleiten. Dann sagte es: „Wir haben uns beraten und beschlossen, ihnen zu vertrauen.“ In den folgenden Minuten dehnte sich die Zeit ins Unermessliche, begleitet wie von einem tiefen Ein- und Ausatmen. Schließlich war erneut die Stimme zu hören: „Gut. Es wird Aufschub geben.“ Dem Kind war die Erleichterung anzusehen. Einer der wenigen, noch lebenden Schachbrettfalter kam aus dem Nirgendwo und umflatterte seine Füße. Es verneigte sich achtsam zum Abschied und war bereits einige Schritte gegangen, um die Botschaft mit Anderen zu teilen, als plötzlich eine Frage im Raum schwebte: „Sag uns noch, wie kam es dazu? Was ist geschehen, dass sie sich erkannten? Dass ihnen ihr Anteil und ihre Nachlässigkeiten bewusst wurden?“ Das Mädchen blieb stehen und wandte den Kopf. „Durch ein Gedicht“, sagte es. „Wir haben ihnen ein Gedicht vorgetragen. Wir haben es auf alle Häuserwände geschrieben und es fuhr auf Zügen durch die Nacht ins ganze Land. Es wurde in Zeitungen veröffentlicht, durch Lautsprecher verkündet und im Internet verbreitet. Sie konnten ihm nicht entgehen.“ In dem Schweigen, das eintrat, schien das Gesagte in Moose und Rinden einzudringen und alle Zwischenräume aufzufüllen. Dann fragte die Stimme tief und wie mit dem Glucksen von Wasser in den Silben. „Was sind das für Worte, die heute noch ihre Kraft bewahrt haben? Wurde nicht längst alles zerredet, wurde nicht alle Wahrheit mit Füßen getreten und sämtliche guten Absichten gegen den Sinn verdreht? Sage uns dieses Gedicht auf.“ Das Mädchen kam zurück, nahm eine ebenso aufrechte Haltung ein wie die gerade gewachsenen Stämme der Douglasien in seinem Rücken, und begann.

Kehrt um. Noch ist Zeit. Macht euch auf den Weg. Nehmt eure Irrtümer zurück. Tut, was euer Herz zum Singen bringt. Geht zu den Bäumen und lasst euch berühren. Liebt. Handelt. Jetzt.
 
Nach einem Moment der Stille wiegten sich die Bäume, als hätten die Worte auch sie berührt. Ein Zapfen fiel dem Mädchen vor die Füße wie ein Geschenk. Es bückte sich und hob ihn auf. „Danke!“, rief es in den Wald, und fügte lebhaft hinzu: „Kennt ihr das Buch, in dem die Bäume sich aufmachen und aus dem Wald kommen, um für die Welt einzustehen? Um das ihre beizutragen? Ohne die die Geschichte nicht gut ausgegangen wäre und das Dunkle den Sieg davongetragen hätte?“ Nadeln und Blätter rauschten. „Ihr wisst Bescheid!“, rief das Mädchen. „Die Demos sind immer freitags, weltweit! Wenn die Erwachsenen halten, was sie versprochen haben, und wenn ihr mithelft, dann kann es noch gelingen, die Erde zu retten. Denkt dran!“

©Barbara Biegel 2019
 

 

Donnerstag, 15. August 2019

der fünfte Todestag






 Am 12. August sind meine Tochter und ich in die Berge des Schwarzwalds gelaufen und haben einen großen Felsen getroffen, der mit uns gesprochen hat. Er hatte seine Wolken um sich versammelt, eine davon leuchtete ganz besonders hell. Überall fanden wir Geschenke, das Blatt eines Bergahorns fiel uns vor die Füße, Ebereschen streckten uns ihre Früchte entgegen, Kieselsteine mit Rundungen und Lebenslinien ließen sich von uns aufheben. Unsere drei Kerzen fanden Nischen und Plätze rund um den Fels.





 Wir legten die mitgebrachten Geschenke ab, türkise Perlen aus Stein, ein Gedicht, eine Muschel vom Jakobsweg. Licht und liebevolle Gedanken füllten innere und äußere Räume.