Dienstag, 6. Dezember 2016

Im Außen








Wenn ich etwas Schönes sehe, bin ich dankbar.
Wenn ich etwas Schönes sehe, denke ich, es kommt von dir, du hast mir die Augen geöffnet.

Wenn die Schafstelze vor mir herfliegt von Stein zu Stein im Bachbett, bin ich traurig.
Wenn die Schafstelze vor mir herfliegt , bin ich traurig, weil du sie nicht sehen kannst.

Wenn ich etwas höre von den Nachrichten der Welt, bin ich traurig und ohne Hoffnung.
Du fehlst.

Wenn ich gefragt werde, ob ich noch an dich denke, schreie ich: Täglich!

Wenn ich traurig bin über den Zustand der Welt, begegnet mir etwas Schönes, von dir gesandt.

Donnerstag, 24. November 2016

Rotgoldene Frucht der Lampionblume



In den Fenstern der Friedhofshalle spiegeln sich kalt die Scheinwerferpunkte des morgendlichen Verkehrs. Vor mir am Tisch leuchtet warm dein kleines Haus. Über Rippen spannt sich die papierne Hülle. Darunter verbirgt sich das orangefarbene Geheimnis meiner Sehnsucht. Rund und weich bringt es giftigen Tod.

Donnerstag, 17. November 2016

Das Segelschiff











Eine Mutter reiste in die Stadt am großen Fluss. Schon mehr als tausend Jahre fuhren Schiffe von dort auf die Meere der Welt.
Der Sohn der Frau, der bis jetzt überlebt hatte, während andere von Bergen gestürzt oder mit Autos gegen Begrenzungen geprallt waren, wohnte im Hafen auf einem Schiff mit Segeln. Umgeben von Kränen und Frachtern lag es an dem Ufer vertäut, das im Namen einen Vogel und die Zukunftsform von Sein trug. Von dort aus sah man auf die Brandung der Häuserwogen und die Gischt der Schornsteine.
Die schmalen Kojen unter Deck warteten seit einer Handvoll Winter auf Schlafende, doch am Schiff wurde einiges erneuert und die Zimmerleute ließen sich Zeit.
Die Frau kam abends an und freute sich, ihren Sohn zu sehen. Sie umarmten einander und er bot ihr für die Nacht eine der Kojen an, doch im Bauch des Schiffes war es eng und ohne Lichtquelle, weshalb sie es vorzog, im sogenannten oberen Salon zu bleiben. Sie ging zu Bett und fühlte ihr Inneres unrhythmisch schaukeln wie ein Korken im Wasser des Hafenbeckens. Das unaufhörliche Be- und Entladen der Containerschiffe bewegte das Schiff auf spitzen Wellenkämmen hin und her. Feuchte Kälte kroch in ihren Schlafsack, so dass sie lange wach lag, trotz Mütze aus Fleece und Wollsocken.
Am Tag ging sie schwankend, vor Müdigkeit und wegen des Gefühls von Ebbe und Flut. Nie Gehörtes wie die Rufe der Möwen, die Sirenen der Schiffe, die Lautsprecher der Barkassen, die fremden Sprachen vermischten sich mit dem Lachen ihres Sohnes und dem Bild von seinem ausgestreckten Arm auf Graffitis und Weiden am Strand.
Die mit ihm geteilte Zeit nutzten ihre Kleidungsstücke, den besonderen Geruch anzunehmen, der ihr, als sie längst wieder zu Hause war, noch Geschichten von Wasser und Hafen und vom Leben ihres Sohns erzählte.

Dienstag, 15. November 2016

Ein Film in der Reihe ‚Unter unserem Himmel‘ über Meerrettichanbau in Franken (von H. Bechert)









Der Film beginnt und ich finde mich in meiner Heimat wieder.
Die Leute sagen ‚Kren‘. Jemand spricht von ‚Tafelspitz‘, gleichermaßen ein Rätselwort, beladen mit zwei Bildern. In mir steigen Erinnerungen auf an den besonderen, nicht alltäglichen Geschmack, die manchmal unerwartete Schärfe und die weiße, leicht flockige Konsistenz. Als käme sie aus einer anderen Welt von jenseits des Meeres, unterschied sich diese Soße von den üblichen braunen, mehr oder weniger sämigen Flüssigkeiten zu Kloß und Fleisch.
Mir Kind schien die Meerrettichsoße etwas Edles zu sein, ein Essen für Könige vielleicht. Sie saßen an langen Tafeln, neben sich ihren Spitz, trugen den Hermelinmantel als Zeichen der Macht und tauchten silberne Löffel in den weißen Schaum.
Die Bauern, die in der Verbundenheit mit ihrer Landschaft gezeigt werden und zu Wort kommen, sind die Weisen des Reichs. Seit langer Zeit haben sie alle Geheimnisse um die Pflanze gesammelt, aufbewahrt und von Generation zu Generation weitergegeben. Woher sie einst gekommen ist, wissen sie nicht. Einer ihrer Namen erzählt vom Meer. Sie leben mit ihr und dem Auftrag, sie veredelt erneut in alle Welt zu verbreiten. Sie sind im Besitz der notwendigen Böden, nicht zu trocken und durchlässig. Im Frühjahr legen sie die schmalen Stangen in die Erde und sehen bis zur Ernte ab Herbst einmal wöchentlich danach. Sie graben den Blattansatz aus und entfernen neue Triebe, damit die Kraft in die Wurzel gehen kann. Zur Erntezeit stehen sie auf dem Feld mit stiller Freude über die wiederkehrenden Wunder der Natur. Wieder und wieder bücken sie sich über die langen Reihen in einer nicht endenden Verbeugung. Die beladenen Anhänger füllen die Scheunen voller Haufen schwarzen, zottigen Gewirrs. Davor, in Licht und Luft an der Grenze zur Lagerstätte des dunklen Wesens im Inneren, sitzen auf Stühlen Männer und Frauen und legen mit Schabemessern die helle Haut des Meerrettichs frei. Bei jeder Mahlzeit nehmen sie Teile der Pflanze zu sich und danken ihr für die heilkräftige Wirkung. Zum Reiben allerdings, wenn es in großem Rahmen geschieht, ziehen sie Gasmasken über die ruhigen Gesichter, um ihre Tränen für andere Ereignisse aufzubewahren.

Samstag, 8. Oktober 2016

Traum - Gang



Von W. geträumt
Mehrmals im Traum suche ich an einem Radiogerät durch seitliches Drehen  den richtigen Sendeplatz, den optimalen Empfang. Auf einer grüngelb schimmernden Skala wandert die senkrechte Anzeige hin und her und findet ganz rechts die gesuchte Sendung. Eine Stimme spricht über Afrika, zumindest ist das der Nachhall, den ich noch erinnere. Ich nicke bejahend und wende mich zu einer seitlichen Person, I. „Das ist es.“ Und als es doch noch Zweifel gibt, weiteres Drehen und erneutes Suchen. Selbst auf der gegenüberliegenden Seite ist der gesuchte Beitrag zu finden. Von einer erhöhten Position aus erscheint mein Sohn und steigt zu mir herunter. Ich freue mich, ihn zu sehen und sage: „Gut siehst du aus!“ Er spricht nicht, aber er lässt sich anschauen, wie, um zu sagen, es geht mir gut. Ganz besonders auffällig ist sein dichtes, glänzendes, frisch geschnittenes Haar. Ich bewundere es, so lebendig wirkt es auf mich und so kraftvoll. Mehr Fragmente weiß ich nicht. Aber es schien die Sonne und alles war in Bewegung. Ein typischer, Mut machender W.traum.
Das kam, weil ich gestern auf den Berg ging. Abends, bei beginnender Dämmerung:
Mein Körper beschwert sich über irgendwelches Essen. Zuerst denke ich, du musst nicht hochgehen, es reicht auch, hier um die Häuser zu laufen. Aber dann gehen meine Füße doch die steile Straße nach oben. Ich trete aus dem Wald. Keine Menschen, nur Schafe unterhalb der Anhöhe im Pferch für die Nacht. Auch oben an der Erinnerungsstelle Einsamkeit. Nichts als braunes hohes Gras. Ich horche auf die Warnrufe der Vögel. Sie erreichen meine Wahrnehmung. Ebenso der Hase, der vor mir über die Hangkante abwärts hoppelt mit weißem Schwanz und langen Hinterläufen. Doch ich denke: Das ist einfach nur ein Hase, der hier wohnt, weiter nichts. Und drehe mich zum Gehen. Ein letzter Blick vom höchsten Punkt. Regenwolken bedecken einen Großteil des Abendhimmels, aber an einigen Stellen zeigt sich hell der dahinterliegende Raum. Eine große Fledermaus, die ich anfänglich für einen Vogel halte, fliegt für mich eine Runde in der hellsten dieser Aussparungen. Beim Absteigen denke ich: Hase und Fledermaus reichen mir nicht. Ich kann nicht glauben, dass alles gut ist so. Ich will, dass die Eule aus dem Wald kommt und an mir vorbei zur Jagd fliegt. Die Eule kommt nicht. Aber nachts der Traum. Danke.