Montag, 30. März 2020

Mut Freude Farbe Leben




Die neue Generation meiner Augenöffner aus Holunderholz ist zentrierter, sie schauen tiefer ins Herz und erlauben sich, nicht perfekt zu sein. Sie folgen ihren Wachstumslinien und würdigen jeden Kreis, jede Rundung, Biegung und Verwerfung. Sie blicken offen und neugierig in die Welt und geben ihren Verletzungen Ausdruck. Sie sind wandelbar, je nach Licht. Manchmal strahlt der Kern ihrer Seele von innen nach außen. Manche sind stiller als andere. Auf ihrer Haut tragen sie Muster und Zeichen wie Tattoos. Das dunkle Rund in ihrer Mitte ist manchmal aus dem Zentrum gerutscht, um unsere Sehgewohnheiten zu irritieren und uns immer daran zu erinnern, dass das Leben nicht in perfekten konzentrischen Kreisen verläuft. Ich liebe diese Abweichler.

Die Arbeiten auf der linken Seite sind von Christine Bakeberg, sie ist "Druckblume" und lebt in Hildesheim. Uns verbindet die Sehnsucht nach einem Ort. Es sieht so aus, als würden sich ihre Karten und meine Augen unterhalten. Diese Unterhaltung habe ich eben auf meinem Tisch entdeckt,  ich wollte sie mit euch teilen, ehe ich mich wieder über mein Manuskript mache - im Herbst soll das Buch über eine Frau fertig sein, die innere und äußere Grenzen überwindet.

Donnerstag, 19. März 2020

In der Krise


Guten Morgen, mein Kind!

In deiner Stadt ist jetzt Ausgangssperre. Ich sehe dich schon nichtsahnend mit ein paar Leuten um einen Mammutbaum tanzen, die Polizei kommt, jemand gibt Widerworte, die Nerven liegen blank und du musst die gesamte Biegsamkeit und Flinkheit deines Körpers aufbringen für eine glücklich verlaufende Flucht.

Lass dich von den Bäumen unterstützen, mein Kind. Niemand wird dich hinter ihren dicken Stämmen sehen können. Selbst bei der Gesangslehrerin bist du sicher. Auch, wenn sie all das von dir verlangt, was du mir schriebst, eine Aufzählung mir unmöglich erscheinender Forderungen, geht es doch darum, so leise zirpen zu lernen wie ein Rotkehlchen und so laut zu schmettern wie eine Nachtigall. Denn auch die Vögel werden auf deiner Seite sein, triffst du ihren Ton.

Also wird alles gut, was dich betrifft - und auch mich.

Hier gibt es Leute, die sich an keine Regeln halten und Verschwörungstheorien anhängen, es macht mich wütend und traurig. Und ich sehe schwarz für deinen lieben Besuch, sie wollen keinen mehr rein lassen in ihre schöne Stadt. Man muss abwarten.

Schön ist, mit Leuten zu telefonieren, die meiner Meinung sind. Gestern habe ich bei einer Mitautorin angefragt, ob sie meine Testleserin sein will - sie antwortet, dass sie keine Zeit hat, weil sie auf der Intensivstation am Klinikum arbeitet und es mit der schlimmsten Lage seit dem 2. Weltkrieg zu tun hat. Wenn auch hier mal um 21 Uhr von den Balkonen geklatscht werden sollte für die Leute im Gesundheitswesen, werde ich mich gerne anschließen.

Naja, die Sonne scheint, besonders bei dir, gestern am Berg wars auch schön, die Worte fließen, was will ich mehr?

Liebe Grüße, Maria

Sonntag, 8. März 2020

8. März




Wir blickten zu dritt in den Himmel über der Stadt, so, als ob noch etwas fehlte, ein letztes Zeichen, das uns erlaubte, bestärkte und den Impuls verlieh, der Stadt den Rücken zuzukehren, sie zu verlassen. „Solche Zeichen kommen doch immer vom Himmel, oder?“, fragte Ben in die Stille hinein. „Kann sein, denk schon“, murmelte Tanga. Ich sagte nichts. Grau und fleckig lag der Himmel über der Stadt wie ein schmutziges Tuch. Wir konnten uns nicht trennen, das fühlten wir deutlich, es hatte keinen Blick zwischen uns für diese Erkenntnis gebraucht. Uns allen fielen Abschiede schwer, zu viele hatten wir schon hinter uns, und jetzt, bei dem ersten gemeinsam geplanten, um unsere Haut zu retten, klebten wir an der verdammten Stadt wie Fliegen am Leim. „Zum Donner!“, stieß Ben hervor, „Los, du mistiges Zeichen, komm, wir brauchen dich!“ Nichts geschah, nur ein müder Wind verschob die Flecken am Himmel langsam und unendlich zäh nach Ost. „Lass uns einfach so gehen, mir wird kalt“, versuchte es Tanga, aber ihre Stimme, die zu anderen Anlässen so kräftig sein konnte, war dieses Mal dünn und energielos, das letzte Wort lief mit einem Flüstern aus, als ob sie selbst an diesem Vorschlag zweifelte. „Nur noch ein bisschen!“ Mein Einwand war zu flehend herausgekommen. Ich hasste mich dafür. Schließlich war ich die treibende Kraft gewesen war ihnen mit meinem Gejammer in den Ohren gelegen und hatte ihnen die Augen geöffnet, hatte sie die Welt, in der sie glücklich gewesen waren, anders und neu sehen lassen, hatte das Nachteilige so groß werden lassen, bis sie bereit waren, mir zu folgen. Denn ich wollte ungern allein sein, wenn ich mich von allem löste, was mir einmal etwas bedeutet hatte. Ich wusste, ich war feige.

Wer möchte die Geschichte weiterschreiben? Über Zuschriften per mail freue ich mich!

©BarbaraBiegel2020


Heute nur Frauen:
Hier noch ein Blick in den Blog von Margrit Irrgang. Zum 8. März hat sie recherchiert und macht uns Geschenke.
https://margrit-irgang.blogspot.com/

Dienstag, 3. März 2020

Schnee - Weiß




Ich besuchte meine Mutter.
Dort bekam ich Sehnsucht nach meinen lieben Toten.
Beim Gang über gemeinsam geteilte Wege traf ich auf das Schnee-Weiß der Trauer.
Unter meinen Händen verwandelte sich die Kälte, ich gab ihm Gestalt.
Aufmunternd sah mich das Schneewesen an.





Es reckte seine Arme und zeigte zum Himmel.
Es sagte, es würde mir folgen, trotz des Grüns des nahenden Frühlings.
Bevor ich Ja sagen konnte, kam mir die Sonne zuvor.
Sie schlang ihre heißen Arme um seine Taille und bat zum Tanz.
Wild und schnell ging es zu und das Weiß sank zu Boden.
Die Hagebuttenaugen senkten den Blick.
Eine schwarze Amsel pickte ins warme Rot.