Montag, 20. Juni 2022

Im Garten

 



Der Garten

 

Ich hätte nie gedacht, was mir der Garten einmal bedeuten würde.

Als ich ihn das erste Mal sah, war ich noch so beeindruckt von der Wildheit der Umgebung, Wiesen, durchsetzt von Buchenwald und kalkigen Abhängen. Deshalb erschien er mir auf den ersten Blick klein-geistig und eingeschränkt mit seinen ihn umrandenden Zaunsfeldern. Außerhalb fühlte ich mich freier und geweiteter.

Das hat sich schnell gewandelt. Mir kommt ein Solo in Händels Messias in den Kopf: wo sich alles ändert und das Krumme gerade wird, das Hohe erniedrigt und das Flache erhöht.

Der Garten ist ein Ort, an dem ich einfach sein kann. Ohne Strom und Wasser, ohne Anpflanzung, Beete, Heckenschnitt und dergleichen ist er ein Ort zum Anders-Sein.

Ich bin dort ver-rückt, und froh, wenn ich sein Dasein durch alle Jahreszeiten begleiten darf, wenn ich die Blüten bewundern darf, die Gewächse hervorbringen, die jemand Anderes vor langer, langer Zeit gepflanzt hat.

Da fällt mir nur ein weiteres Gesangsfragment ein, ebenfalls aus dem Messias: Come unto him---and rest. Ja, ausruhen kann ich in ihm, mich in Gelassenheit üben.

Vertraut mit den Besuchern des Gartens, ihren Gesängen, Fährten und Losungen fühle ich mich als Teil der Natur und lerne.

Es gibt dort Hütte, Bett, Regal, Ofen und Kerzen. Sie begleiten uns durch die Nächte, die wir dort verbringen. Aus dem Fenster sehen wir den Fuchs am Zaun entlang laufen, der einzige Hase der ganzen Gegend kommt vorbei und über allem leuchtet der Goldregen in warmem Licht.

Mäuse tanzen uns auf den Köpfen herum, wenn wir einen Brotrest im Regal vergessen.

Die Schlange zeigt sich, wenn die Gitarre Resonanzen erzeugt.

Die große alte Ligusterhecke, die sich im Lauf der Zeit, von niemandem beschnitten, zur Seite geneigt hat, schützt Hütte und Lagerfeuerrund vor allen Blicken.

Zusammen mit Waldkauz und Mond betrachten wir die Flammen, bis als letztes Bild noch ein rotes Glühen im Steinrund übrigbleibt, „die große Stadt“, wie wir sie nennen. Wer ist dort noch auf, in welchen Vierteln funkeln noch Lichter?

Vor dem Schlafengehen nochmal aufs Klo – dort kannst du sitzen bei offener Tür und in das Grün des Waldes schauen.

Manchmal liegt die Wolkendecke dicht und schwer auf dem Garten, manchmal sehen wir die Sterne in immer wieder neuer Position: das Sommerdreieck, den großen Wagen, den Jäger Orion.

Und ich denke an die Liedzeile: we shall all be changed

Montag, 6. Juni 2022

Das Tanzen

 

 


 

Ich bin noch erfüllt vom Tanzen gestern, vom Radfahren, vom Gesang der Nachtigallen am Heimweg, vom Bild der untergehenden Sonne, der sommerlichen Stimmung, dem Anblick der unzähligen weißen Pusteblumen-Kugeln auf einer gemähten Wiese, von der Energie der Gemeinschaft, der Musik.

Begegnungen mit so vielen Menschen, denen ich zugelächelt habe und die mich mit einem Lächeln beschenkten, Frauen und Männern jeden Alters. Zu Gesichtern gesellen sich Namen. „Ich bin Rudi und wer bist du?“ „Ich heiße Katrin.“  Auch ein: „Kommst du mit, etwas trinken?“ oder das schöne Verabschiedet-werden von Klara, die sich umwandte und mir „Einen schönen Abend noch!“ zurief. Die Verbundenheit zwischen den Tanzenden, hervorgerufen durch die Worte Petras: „Seht euch um! Lächelt euch an, begrüßt euch! Seht hin und nehmt euch wahr: Wer ist noch hier? Diese Energie braucht die Welt, gerade jetzt!“ Und gleichzeitig immer wieder das Ankommen bei mir selbst, das Wahrnehmen meiner Bewegungen, das Ausprobieren von neuen. Angenehm die bei den vielen Neulingen mutige Zweierübung, das sanfte Ausklopfen des Rückens, eine Wohltat für die Aufrichtung und ein Beispiel für Vertrauen. „Seit zwei Jahren die erste Partnerübung. Spürt ihr die Aufrichtung? Nehmt sie mit ins Tanzen!“„Und atmet! Habt ihr geatmet? Wenn ihr getanzt habt und ankommt und erst mal schnauft, dann habt ihr nicht geatmet!“ Wunderbar, das Einbeziehen der drei jungen Frauen, die uns eine Weile zusehen und dann mitmachen, denen ich im Tanzen ebenso begegne wie den Frauen im Hijab. Dann die mich herausfordernde Choreo, ein Begriff, bei dem mir schon heiß wird - aber keine Chance, nicht mitzumachen. Nach der ersten Runde hält Petra uns an: „Ich habe euch zugesehen. Und wisst ihr was? Ihr seid nicht da! Ihr seid bei euren Füßen, am Boden, ihr denkt: Mach ich es richtig, wie geht’s weiter...? So sehe ich euch nicht. Vertraut eurem Körper! Eure Füße wissen das! Seid aufrecht, seid präsent im Raum, mit allen, bewegt euch nach vorne. Seid euch bewusst, dass wir ein Bild malen, ein kraftvolles Bild. Und los!“ Und es gelingt, ganz mühelos. Meine Füße kennen sich aus, die Energie trägt mich, ich kann den Blick heben und lächelnd in den Raum vor mir tanzen, in meine Zukunft.

 

©BarbaraBiegel22

Samstag, 4. Juni 2022

Handlungsanweisung gegen das Heimweh

 

Schlage die Zeitung auf und unterstreiche alle Wörter, die mit Tätigkeiten zu tun haben. Also verhandeln, übernehmen, mieten. Du kannst auch komplizierte Begriffe anstreichen, um deinem Heimweh den Wind aus den Segeln zu nehmen, es verfängt sich darin wie ein Singvogel im Netz oder wie Erinnerungen in abgelegenen Gehirnwindungen. Kompliziert klingt zum Beispiel: posttraumatisch, Arbeitserlaubnis oder Premierministerin. Bald wird das Heimweh dir über die Schulter schauen und die Wörter können ihre Wirkung entfalten. Sie entziehen ihm die warme, feuchte Grundsubstanz, die genährt wird durch Sätze, die sich um Volk, Gemütlichkeit oder Gemeinschaft drehen. Das Heimweh wird sich schon nach kurzer Zeit mit einem Laut, in dem Enttäuschung mitschwingt, unter dem Türspalt davon schleichen.