Mittwoch, 19. Februar 2020

Was will ich eigentlich noch?



Was will ich eigentlich noch?

Alles ist da

in dem Moment, wenn mir die Tränen kommen, grüßen mich zwei Falken

in dem Moment, wenn ich den schmalen Pfad zur Bank emporsteige und denke, dass die Wege, wenn sie mit dir gegangen sind, etwas heiler und heilender geworden sind, liegt auf der festgetretenen Erde ein kleiner Ulmensamen

in dem Moment, wenn ich unterhalb der Stelle sitze, dort, wo ich windgeschützt lag und du schriebst, fallen mir Worte ein, die sich zu Texten verdichten

in dem Moment, wo ich dankbar daran denke, flimmert es in meinem Augenwinkel und der Falke steht über mir, ganz ruhig, ohne Flügelschlag

zum Abschied winkt er mir zu und lässt sich fallen, ins Nichts

beunruhigt erhebe ich mich, doch schon nehmen die Mauersegler den Luftraum ein und rufen mir Geschichten über die Berge zu.



Wolkenbühne

Zwei riesige weiße Wolkenhocker stehen über den südlichen Höhen bereit.
Wer soll darauf Platz nehmen? Du oder Ich? Oder wir beide?

Vor dem rechten rüttelt ein Falke, dieser Platz scheint für dich zu sein.
Der linke sieht etwas zerbeult aus und ein dünnes dunkles Band zerteilt ihn in zwei Hälften, ein Unten und ein Oben. Also nehme ich darauf Platz.

Sind wir Zuschauer oder Mitspieler und welches Stück wird aufgeführt?
Oder sind wir angeklagt und warten auf unser Urteil?

Nur kurz erschrecke ich, dann weiß ich es wieder.

Das Universum ist freundlich.

©BarbaraBiegel2020

Mittwoch, 5. Februar 2020

Die graue Königin


Die graue Königin

Meine Anreise dauerte lange und zunehmend fühlte ich mich in das Buch vom Herrn der Ringe versetzt. Nach der Ankunft befand ich mich in einem kleinen Städtchen, das am Rande eines großen Waldgebiets gelegen war. Ich hatte geplant, im Bahnhof bei einer Tasse Kaffee zu warten, bis es Zeit für das Treffen  wurde, doch das Bahnhofsgebäude war heruntergekommen und verrammelt. Mir blieb nichts anderes übrig, als in den Ort zu laufen und mir ein Café zu suchen. Vom Bahnhof aus folgte ich einer stark befahrenen Straße und musste noch eine Art Kanal überqueren, an dem die Fahrbahnen rechts und links vorbeigeführt wurden wie in der Stadt im Süden, in der mein Kind lebte. Das schien mir ein gutes Zeichen. Nach einem Kreisverkehr traf ich auf das Haus, ein altes würdiges Gebäude, gegenüber ruhte entlaubt der Schlosspark, begleitet von einer langen Mauer. Häusern mehrten sich wieder an einer gesichtslosen Kreuzung, hinter der die Altstadt begann. Das fehlende Stadttor schien unsichtbar seinen alten Platz zu behaupten und hatte der Hauptstraße befohlen, um den Kern der Stadt einen weiten Bogen zu machen. Unvermittelt begann das Kopfsteinpflaster. Freundliche Häuserzeilen mit kleinen Läden säumten es, junge Frauen mit Kinderwägen, gut gekleidete, städtisch wirkende Passanten und alte Leute belebten die Gehsteige. Ich lief neugierig weiter, sah in die Gassen und Seitenstraßen und gewann den Eindruck einer munteren Kleinstadt. 
Mit großen, bis zum Boden reichenden Fenstern lockte mich ein Café, es zu betreten. Im Inneren fand ich einige Gäste, meist ältere Paare und eine Theke, die auf einem Podest den Raum bestimmte und wie abgeriegelt erschien, voller Gegenstände und im Dunkel gehaltener Winkel. Wie ein Wall verbarg sie das Verkaufspersonal, ich hörte mehrere Frauenstimmen und zwei bis drei Männerstimmen, die sich lebhaft Stichworte und Witze zuwarfen, der Dialekt war schwer verständlich. Ich nahm an einem kleinen Seitentisch Platz und hoffte, ich wäre gesehen worden und würde bedient werden. Überall leuchtete rotweißer Karostoff, auf den Tischen und Sitzkissen sowie an den Vorhängen. Im Radio lief Musik aus den 80ern. Eine große fleischige Bedienung kam und nahm freundlich meine Bestellung auf, ihre rot gefärbten Haare standen nach oben und zu den Seiten ab und hatten sich platt an den Hinterkopf gelegt. Das Geschrei hinter der Theke nahm zu, ‚ein munteres Völkchen‘ wäre eine zutreffende Beschreibung gewesen. Ohne die Gäste zu beachten, lief der dicke tätowierte Mann mit weißer Schürze und kurzen struppigen Haaren an die Tür und sah einem Passanten nach. Nach hinten rief er: „Er geht weiter, zum Glück!“ Dann verschwand er wieder im Hintergrund, wo es für einige Momente ruhiger wurde. Eine weitere Fremde betrat den Raum, daran erkennbar, dass sie an der Theke fragte, ob man bedient würde oder am Tisch bestellen könnte. Sie setzte sich mit dem Rücken zur Scheibe und beschäftigte sich mit ihrem Handy. Ohne die Mütze sah ich ihr Alter deutlicher und ich sah mich, eine kleine schmale Frau mit kinnlangen grauweißen Haaren, wie in einem Spiegel, nur aufmerksamer,  eine Chronistin, die sicher war, einmal über das kleine Völkchen und die Umstände, in denen es lebte, Zeugnis ablegen zu müssen.
Der Kuchen war erstaunlich gut, als ob muntere Leute wie diese nichts anderes als lustige, gemütliche Genießer sein konnten. Dann brach ich auf und ging den Weg zurück, bis zu dem Haus, in dem ich auf die weise Frau treffen sollte. Mit klopfendem Herzen drückte ich gegen die Haustür und stieg das Treppenhaus hoch. An keiner Tür war ein Schild angebracht. Ratlos stand ich im obersten Stockwerk und wollte schon wieder umkehren, als sich eine Tür öffnete und ein kleiner nachdenklich wirkender Mann mit gebräuntem Gesicht und dünnem grauen Pferdeschwanz heraustrat. Er sah mich an und plötzlich erleuchtete sich sein Gesicht, er strahlte mich an wie ein Verbündeter, liebevoll und nachsichtig, und wies auf die ins Schloss gefallene Tür. „Sie sind richtig. Hier ist es!“ Ich bedankte mich, er lächelte mir warm zum Abschied zu und ging die Treppe hinunter. Nach einigen Minuten, als müsse ich mich innerlich vorbereiten, klingelte ich und kurze Zeit später sah ich mich einem weiblichen Gandalf gegenüber, einer großen, schlanken Frau mit kurzen grauen Haaren und blaugrauen Augen. Sie begrüßte mich forschend, gab mir die Hand und ließ mich eintreten.
Es würde schwer sein, sie zu überzeugen, dass sie sich irrte, das sah ich gleich.



©BarbaraBiegel2020