Dienstag, 24. September 2019

Wiedererkannt






Vor zwei Tagen ging ich die breite Steintreppe hoch, unten am Weg, wo die Rosen immer noch  ihre tiefroten Blütenblätter für mich streuen und für alle, die sich von ihnen anrühren lassen. Ein Korb voller Bücher stand daneben am Hauseingang und ich griff mir die Biografie über Marie Luise Kaschnitz aus dem Inselverlag heraus, ein dickes Buch mit einem Foto der Dichterin auf dem Umschlag. Seit langen besitze ich "Zwischen Immer und Nie", Vorlesungen über deutsche Literatur, und „Dein Schweigen – meine Stimme“. Ich wusste wenig über sie, nur, dass sie ihren Mann sehr betrauerte und diese Trauer in ihren Werken ausgedrückt hat.

Sie ist in Bollschweil begraben, in dem Ort, den sie als ihre Heimat bezeichnet hat, und man hat dort ein Kaschnitz-Zimmer eingerichtet, um ihr Wirken zu ehren. Es ist noch gar nicht lange her, da blickten meine Tochter und ich bei unserer Wanderung von oben auf den kleinen Ort, er ist ja gleich in der Nähe von Wittnau, wo wir untergekommen waren. Gestorben ist Marie Luise Kaschnitz in Rom, es gab viele Orte und Menschen in ihrem Leben, und wenn ich das Buch aufschlage und lese, bringt es mich mit meinem Leben als Künstlerin und Schreibende und mit dem Schreiben selbst in Verbindung.
Alles ist da und wartet nur darauf, gesehen zu werden.
Ich las das Gedicht, das sie anlässlich des tödlichen Unfalls ihres sehr geliebten Neffen schrieb, der, zwanzigjährig‚ ‚von einem durch Übermüdung nachlässigen Transportfahrer‘ überfahren wurde.

Im letzten Sommer noch
Dein schöner freier Gang
Täuschte mich und alle.
Angekettet war dir längst
Die Kugel Tod.

(Titel des Gedichts: Philipp. 1953 – 1973 - entnommen aus ‚Kaschnitz, Eine Biographie von Dagmar von Gersdorff, Insel, 1. Auflage 1992‘)


Montag, 16. September 2019

Herz und Stern und Angesicht




Herz und Stern und Angesicht

mein Herz ist heute außerhalb
mein Stern nicht vor den eigenen Karren gespannt
das Angesicht - mir anverwandt, voll Sorge und voll Hoffnung

mein Herz schlägt für die Mitfühlenden
Licht begleite all ihre Vorhaben
ich richte mich innerlich auf





Ich wurde ausgewählt









Ich wurde ausgewählt, wie wunderbar! Seht ihr mich? Ihr findet mich auf dem unteren Blatt, ich bin die Nummer 2. Meine Kolleginnen und Kollegen wurden mit mir fotografiert und per Mail an eine interessierte Kundin geschickt. Sie brauchte ein Geburtstagsgeschenk und wollte unbedingt einen von uns Augenöffnern verschenken - nicht, dass die beschenkte Person uns nötig hätte, weil sie ohne Durchblick wäre, sondern weil sie mit offenen Augen durch die Welt geht und so manch anderen Leuten die Augen für die Schönheit der Welt öffnet.
Von uns dreizehn Exemplaren hat sie mich ausgewählt. Ich war mit der Post in einem roten Umschlag unterwegs und bin heute angekommen. 



Vielleicht werde ich auf einem Fensterbrett liegen, vielleicht werde ich an einem kleinen Nagel hängen und von der Wand in ein Zimmer blicken, vielleicht werde ich draußen im Freien liegen und wie die tibetischen Fahnen langsam ausbleichen und vergehen, während meine Botschaft, achtsam zu sein, in die Welt einsickert.