Montag, 5. Dezember 2022

Der Advent

 



Der Bezugsstoff des Sofas, auf dem der Advent saß, sah orientalisch aus, was mich nicht wunderte. Schließlich hatte die Sache mit der Krippe weit im Osten stattgefunden. Auch, weshalb er sich die hinterste Ecke des Cafés ausgesucht hatte, um Platz zu nehmen, lag auf der Hand. Sie war am dunkelsten und leuchtende Kerzen würden dort am besten zur Geltung kommen. Ich sah genauer hin und bemerkte, dass aus der Teetasse, die vor dem Advent stand, eine kleine zarte Rauchsäule emporstieg, die sich anmutig kräuselte. Er schien auf Gäste zu warten.



 

Wiederholt ließ er den Blick über die drei Stühle schweifen, die das Tischchen umstanden. Jedes Mal, wenn sich die Eingangstür mit einem Bimmeln öffnete, richtete er sich auf und blickte erwartungsvoll auf die Eintretenden, um dann kopfschüttelnd wieder etwas in sich zusammenzusinken. Je mehr Zeit verstrich, desto mehr tat mir der Advent leid. Gäste kamen und gingen, doch augenscheinlich war keiner von denen darunter, die vom ihm erwartet wurden. Irgendwann gab ich mir einen Ruck und ging hin. Große blaue Augen, in denen kleine goldene Sterne zu blinken schienen, sahen mich an. „Äh, hallo“, sagte ich, „kann ich Ihnen irgendwie behilflich sein?“ Keine Ahnung, wieso ich mich so förmlich ausdrückte. Die Gestalt auf dem Sofa raffte den rotschimmernden Mantel etwas zusammen und forderte mich mit einer einladenden Geste auf, Platz zu nehmen. Sie hatte also die Hoffnung noch nicht aufgegeben, dass die Stühle noch gebraucht werden würden. 

 

 Ich setzte mich auf den orientalischen Stoff und nahm plötzlich wahr, wie die aufgedruckten Palmen, Kamele und Sonnen zu flimmern begannen. Der Untergrund glitzerte sandfarben. Mir wurde fast ein bisschen schwindelig. Da fielen drei schwarze Schatten auf mich und rasch sah ich hoch. Wie gezackte Berge standen dunkle Gestalten im Gegenlicht der Deckenlampe. Details konnte ich nicht erkennen. Die Sitzfläche des Sofas schwankte, als sich der Advent erhob. „Da seid ihr ja!“, sagte er mit einer Stimme, die wie ein wohltönender tiefer Gong war, „setzt euch!“ Es knirschte unter den Füßen der drei Männer, als sie Platz nahmen. Von draußen war ein eigenartiges Geräusch zu hören, das wie das tiefe Brummen eines Kamels klang. „Habt ihr alles?“,  fragte der Advent, und sah die Männer, die Kronen und Turbane auf dem Tischchen abgelegt hatten, aufmerksam an. Sie nickten. Mit einem Lachen klatschte der Advent in die Hände: „Dann kann nichts mehr passieren!“ Er beugte sich vor: „Euer Ziel ist die Hauptstadt. Ein Schrebergarten in Friedrichshain. Der Stern wird euch den Weg zeigen.“ Ich konnte mir nicht erklären, weshalb ich auf einmal so müde war. Kam es von der Hitze, die in diesem Teil des Cafés plötzlich herrschte, kam es von dem betörenden Duft, der von der linken Gestalt ausging oder war der Körper des Advent die Ursache, der eine große, behagliche Wärme ausstrahlte. Mir fielen die Augen zu und ich schlief ein. 

 

Irgendwann klapperte die Bedienung mit dem Besteck und ich schrak auf und sah mich um. Niemand war mehr da. Nur einige Sandhäufchen auf dem Fußboden und etwas Goldstaub auf dem Tisch bewiesen, dass ich nicht geträumt hatte. Als ich aufstand, stieg eine Wolke von Zimtgeruch vom Sofa auf.