Ich weiß noch, wie glücklich und überrascht ich war, als vor fünf Jahren im ersten Frühling in V der Gesang einer Nachtigall zu unserem Balkon emporstieg. Sie wohnte unten an der Mühle und war nicht die einzige im Umkreis, ich fand bald drei oder vier Stellen, die ich aufsuchte, um Nachtigallen zu lauschen. Sie hatten zu den Wundern in J gehört und nach Jahrzehnten waren diese Vögel auf einmal wieder im Zenntal zuhause. Heute, fünf Wochen nach meinem erneuten Umzug, öffne ich das Küchenfenster und höre den Ruf des Pirols. Auf diese scheuen Vögel hat mich mein Mann aufmerksam gemacht, vor zwanzig Jahren etwa, auf einer Radtour durch das Saaletal, unweit von Naumburg. Er konnte ihre besondere Melodie perfekt pfeifen. Im Lauf unserer Fernbeziehung fanden wir sogar eine Stelle in Franken, an der dieser Ruf zu hören war. Mehrmals radelten wir mit den Kindern in das kleine Wäldchen unweit eines Weilers. Einmal in all den Jahren hat sich mir einer dieser scheuen Vögel gezeigt, amselgroß und leuchtend gelb. Das machte mich glücklich. Nun ist also nach der Nachtigall auch der Pirol mir gefolgt und ruft mich nicht nur von meiner Vogeluhr aus an, sondern ‚live‘ und erinnert mich an meinem neuen Zuhause an das, was früher geschah. Dazu ruft der Falke, auch ein Bote zwischen den Welten.
Ich lese das Buch „In die Wildnis“ von Jon Krakauer über den jungen Mann, der nach Alaska ging, wie „vielleicht ein Pilger“, wie es heißt. Auf der Suche nach Wahrheit und Schönheit kam er dort ums Leben. Ich lese von einer Reihe an Beispielen junger Männer, die auf der Suche waren oder glaubten, sich diesen Raum einfach nehmen zu können. Ihr Umgang mit der Einsamkeit macht mich betroffen. Trotz größter Fitness und Stärke wird der Beweis nicht gelingen, ein Leben wie in der Steinzeit führen zu können, solange man alleine ist. Dass der Mensch ein soziales Wesen ist, scheint bei allen fast völlig aus dem Blick geraten zu sein. Nur das Tagebuch wird zu einem Gegenüber, zu einem Ort, an dem die Sprache Worte für Gefühle findet und ausdrückt. Von der Allgemeinheit als Spinner bezeichnet, rührt mich ihre Suchbewegung und Konsequenz, ihre Weigerung, sich Normen zu unterwerfen, ihre Klarsicht, wie die sogenannten zivilisierten Gesellschaften dabei sind, die Erde zu zerstören. Ich fühle mich ihnen nah, was die Begegnung mit der Natur angeht, ihrer unfassbaren Schönheit und überwältigenden Wundern.
Teil der Natur zu sein, ist für mich eine tiefgehende Erfahrung, die auf einer mentalen Verbindung gründet und überall gefunden werden kann. Es braucht nur Hingabe und Ruhe, einen offenen Blick, eine aufnahmebereite Nase und geöffnete Poren. Im Buch ist von einem Aufstieg auf einen Berg zu lesen, begleitet nur von „Wind, Schnee und Tod“. In dem Moment, in dem wir eins werden mit dem was ist, ist die Grenze aufgehoben, trotz aller Angst. Wie schade, dass diese jungen Männer ihre Erfahrungen nicht weitergeben konnten. Wie sehr würde ihre Anleitung, im Freien zu sein, Geist und Körper aller Altersstufen lehren, achtsam zu sein und so dazu beitragen, der Erde liebevoller zu begegnen.