In den Bergen, zum elften Todestag
16.08.2025
Ein Stück ferner gerückt war sie diesmal, die Trauer, etwas hatte sich verlagert. Zum Wasser, zum Fließen hin, zumindest für mich. Ein Eintauchen, anders als die alles erschütternde Begehung der Karwendelspitze im Vorjahr. Auch mein Alter habe ich gespürt, die ersten körperlichen Grenzen. Nach der Almtour das ganze System ruhebedürftig :-). Dafür gestern viel Sonne und den Sommer in der Haut gespeichert.
Der Abend auf den Balkon bei Wetterleuchten, beeindruckend wahrnehmbar der nahende Wetterumschwung. Nach einer Stunde Schlaf wurde ich vom Trommelwirbel einzelner Regen- und Hagelschläge aufgeweckt. Später kam auch meine Tochter auf den Balkon. Regengüsse und Blitze. Das Gewitter im Talkessel. Eine unruhige Nacht.
Um 7 Uhr vom Regen aufgewacht. Auch vom Donner. Ich trinke Kaffee auf dem Balkon und sehe auf der Karwendelspitze einen Blitz einschlagen, der sich teilt und kurz direkt an der Stelle stehenbleibt, an der sich die Bergstation befindet. Himmel und Erde berühren sich.
17.08.2025
Wieder in der Küche, nach der Zeit in den Bergen. Ich warte, dass mein Bad frei wird. Dann gehe ich duschen. Ich wasche mir den Staub und Schweiß der Rückreise ab. Die Busfahrt nach Klais, die beengte Zugfahrt nach München, die angenehmere Regionalfahrt nach Nürnberg, die Stunde Wartezeit mit I. hinter dem Bahnhof, nachdem wir durch den Fußgängertunnel gelaufen sind, den sie mit ihrem Bruder schon einmal passiert hat. Am Ende die Zugfahrt im RB12 nach Hause und nach der Ankunft der Gang in der Dämmerung über die Höhe. Ich war traurig, dass die Woche vorbei war, die schöne, innige Zeit mit meiner Tochter, das Den-ganzen-Tag-Draußen-sein.
Nach dem Duschen kehre ich zu meiner angefangenen Tasse Kaffee zurück. Vom Fenster aus sehe ich überraschend viele Vögel die Umgebung des Hauses nach Nahrung absuchen. Meisen hüpfen in der Dachrinne herum, ein junges Rotschwänzchen turnt über Stühle und Tisch am Vorplatz, Spatzen fliegen den Zwetschgenbaum an. Nach einiger Zeit setze ich mich an den Tisch zu den Collagen, die ich so zurückgelassen habe, wie sie waren, unfertig, mitten im Prozess. Ich bin traurig und spüre den Druck, anzukommen und Freude daran zu finden. Ich betrachte die oberste kleine Collage auf dem improvisierten Stapel und die ausgebreiteten Schnipsel auf dem Tisch. Das, was ich da vor der Abfahrt gelegt habe, ist nicht gut. Viel zu beliebig, zu unruhig. Die aufgelegten Ausschnitte haben gar nichts mit der ursprünglichen Zeichnung von CasparDavidFriedrich zu tun. Was hat er da eigentlich gezeichnet? Eine Landschaft im Riesengebirge? Eine Figurenstudie?
Nein - plötzlich ist die Verbindung da:
Auf der Zeichnung befinden sich ein Fels und ein Baumstumpf – genau die Dinge, die uns die letzten Tage so berührt und begleitet haben. Ich nehme meine aufgelegten Papiere weg und sehe, wie schön das Blatt ist. Ich lese die Bezeichnung:
Fels und Baumwurzel
Dat.: den 12 t August (18)99, Feder. Seite 12
An einem 12. August starb mein Sohn.