Dienstag, 26. März 2019

Sieh hinter die Dinge!


„Alles ist gut! Vom Geld getrennt zu sein, wird für Sie der Vergangenheit angehören!“ Die Frau im weißen Arztkittel nickte mir aufmunternd zu. Ich konnte es immer noch nicht glauben. So lange hatte ich auf diesen Satz gewartet und jetzt, wo er ausgesprochen worden war, zweifelte ich an der Wirklichkeit.
Die Ärztin hatte mein Zögern bemerkt, sie hängte das Stethoskop auf den Haken am Regal und lächelte: „Ist wohl schwer zu glauben, was?“
Ich holte tief Luft: „Ja, es war ein langer Kampf, wie oft bin ich müde geworden, ihn zu kämpfen, wie oft wollte ich aufgeben und dass sich nun der Erfolg eingestellt hat, fällt mir wirklich schwer zu glauben. Dabei hat es sich in den letzten Tagen abgezeichnet. Mein Buch hat sich wie ein Lauffeuer im ganzen Land verbreitet, es hat überall Wärme in den Herzen entfacht, mein Konto hat sich mehr und mehr gefüllt, weil die Leserinnen und Leser ihre Lieben und Freunde daran teilhaben lassen wollten. Ich bin so dankbar, verstanden zu werden!“ Ich knöpfte meine Bluse zu. „Ich habe Ihnen sehr viel zu verdanken, Frau Doktor!“
„Aber ich bitte Sie!“, wehrte sie ab. „Das war doch selbstverständlich!“
„Nein, das stimmt nicht“, protestierte ich, ließ mich von der Behandlungsliege gleiten, fuhr mit den Fingern durch mein Haar  und schlüpfte in meine Jacke. „Welcher andere Arzt hätte jedem seiner Patienten ein Exemplar meines Buchs verschrieben? Und wer hätte seinen Einfluss im Kulturausschuss für Lesungen geltend gemacht, ganz zu schweigen von der großzügigen Bücherspende an die Bibliotheken der Region?“
Sie wischte meine Worte weg wie Fliegen, aber ich ging einen Schritt auf sie zu und nahm ihre beiden Hände in die meinen. „Und etwas sehr Wichtiges muss auch noch gesagt werden. Sie haben mein stolperndes Herz und meine luftknappe Lunge beruhigt, denen die Existenzsorgen zu nah gerückt waren. Was wäre mein Blutdruck ohne Sie? Unendlich hoch! Welche Kapriolen würden meine Schilddrüsenhormone noch machen? Mein Mausarm würde immer noch quietschen wegen des Schreibens der vielen flehenden E-Mails. Ich kann Ihnen nicht genug danken, und ich möchte Ihnen das Wertvollste geben, was mir möglich ist.“
Ich glaubte, ein kleines Zögern in ihren Augen wahrzunehmen. Wusste sie denn nicht, was ich meinte? Kannte sie mich so schlecht? Noch ihre Hände in den meinen haltend, sagte ich feierlich: „Sie werden in meinem nächsten Buch die Hauptfigur sein!“

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