Montag, 12. April 2021

Gabes Grenzen

Mein neuer Roman ist erschienen: Gabes Grenzen

ISBN 9783753463186, 284 Seiten, erschienen bei BoD, bestellbar in allen Buchhandlungen

Hier der Klappentext:

Sie drehte sich zu mir um und sagte laut: „Da wäre ich wohl besser drüben geblieben!“

Da war sie wieder, die Grenze.

Eine Frau mit Prinzipien und dem Vornamen Gabe läuft widerwillig einen Fernwanderweg an der ehemaligen innerdeutschen Grenze. Sie folgt den Spuren Karls, eines Unbekannten, dessen Tagebuch die Route vorgibt. Sie trifft auf abgeschnittene Verbindungen, alte Verletzungen und auf neue Mauern in den Köpfen. Zum Glück hat sie zwei Freunde an ihrer Seite. Die video-affine Rosi und Jim, ein Hobbyastronom, stehen mir ihr über Handy in Verbindung. Gabe muss erkennen, dass sie ihre Prinzipien loslassen und sich der eigenen Vergangenheit stellen muss.

 


Viel Zeit ist seitdem vergangen. Gabe ist auf den Spuren ihres Vaters unterwegs gewesen und hat die meisten der Orte auf den Filmen der Videokamera aufgesucht, die er ihr hinterlassen hat, zumindest diejenigen, die sie hat identifizieren können.

An einem der ersten warmen Frühlingstage des neuen Jahres erwacht sie mit dem Gedanken an die Wanderung, mit der alles angefangen hat. Ein Gedanke, der sie nicht mehr loslässt.

Mittags brach sie auf, zu einem Ausflug an die ehemalige innerdeutsche Grenze, dorthin, wo sie einst entlang gelaufen war. Sie hatte mit einer Umleitung zu kämpfen und kam später als erwartet müde und hungrig in die Nähe ihrer damaligen Route an. Auf einer Abkürzung zu der auf dem Gebirgskamm verlaufenden alten Heer- und Handelsstraße fuhr sie durch eine Ortschaft, die sie damals ausgelassen hatte, weil der alte Fernweg in der Gegend an vielen Stellen wie ausradiert gewesen war. Linden begleiteten den kleinen Bach neben der Dorfstraße. Plötzlich entdeckte sie an einem der Bäume die weißblaue Wegmarkierung, der sie in jenem Sommer gefolgt war. Sofort stieg Wärme in ihr auf, sofort war die Verbindung zu ihrem Vater wieder da und als ein Falke auf die Krone der Linde flog, fühlte sie sich auch ihrem Sohn wieder verbunden. Sie waren wieder zu dritt, sie und ihre beiden lieben Toten. Sie lachte vor Freude, es stimmte: man hatte nur auf die Zeichen zu achten.

An einem der Infopunkte mit Tafeln, Wanderwegschildern und mehreren rustikalen Sitzgruppen hielt sie an, setzte sich in die Sonne und aß etwas. Ihr Blick fiel auf einen mit grünen Wegweisern übersäten Holzpfahl, sie las die Namen von Rundwegen, von Zielorten und von Kilometerangaben und entdeckte zu ihrer Freude ein kleines Hinweisschild mit der Aufschrift ‚Klimawandel - alle Richtungen‘. Jemand war hier gewesen, der sich um die Zukunft kümmerte. 

 

 

Gabe hatte mit Absicht an einem Platz gehalten, den sie noch nicht kannte und wie zum Trotz führte der 'Kleine Grenzwanderrundweg', den sie sich ausgesucht hatte, genau in den Ort zurück, durch den auch ihr Vater auf seiner Wanderung in den späten Siebzigern gekommen sein musste. Nach den letzten Häusern, von denen einige leer standen, zeigte ein Wegweiser auf eine Senke voller Wiesen und sie überquerte einen mit klarem Wasser dahineilenden Bach auf einer aus Brettern improvisierten Brücke. Am Waldrand begrüßte sie wieder die blauweiße Markierung. Sie fand sich bald auf vertrauten Wegen, nur die Stimmung war anders, nicht hochsommerlich, sondern vorfrühlingshaft, es breiteten sich sogar vereinzelt noch weiße Decken von Schneefeldern aus. Nach dem nächsten Dorf verlief der Weg in unbekanntem Gelände, die Markierung war zuverlässig, dennoch verpasste sie eine Abzweigung, was sie mit einem Lächeln an einzelne Etappen ihrer ersten Wanderung denken ließ. Als Geschenk gab es eine weißblühende Pflanze, die sie noch nie gesehen hatte und die sich später beim Nachsehen als ‚Milchstern‘ entpuppte. 

 


Dunkle Wolken schoben sich rasch über den klaren Himmel und ließen plötzlich große dicke Tropfen auf ihren unbedeckten Kopf fallen. Wind wehte den Schauer davon und sorgte dafür, dass andere, zum Glück ebenso kurze, folgten. Die hörnerbewehrten Hochlandrinder, die auf den mit einzelnen Fichten bestandenen mageren Wiesen grasten, ließen sich vom Regen nicht stören. Der Umweg durch die verpasste Abzweigung traf am Ende eines Waldstücks auf eine Straße. Der Weg führte auf der anderen Seite unter einer großen Bogenlampe weiter. Gabe blieb stehen. Ihr wurde bewusst, dass sie auf dem ehemaligen Grenzstreifen stand. Schnurgerade zog sich ein Grasweg über ein Feld und wurde bald an beiden Rändern von Fichten begleitet. Auf weichem Gras ging es hügelauf.

 


Die Fichten waren noch keine dreißig Jahre alt, sie waren erst nach dem Ende der deutschen Teilung gewachsen, sicher war der Streifen rechts und links des Weges früher frei gehalten worden, nachts beleuchtet und mittig mit einem Band aus geharktem Sand versehen, um besser Spuren ausmachen zu können. Lange lief sie auf diesem Stück Geschichte und spürte das weiche Moos unter den Füßen, bis die Bäume unvermittelt aufhörten und das Moos durch Lochbetonsteine abgelöst wurde. 

 



 

Ein breiter Streifen Landschaft mit heidekrautähnlichem Bewuchs und gelblichen Gräsern tat sich auf, rechts am Waldrand befand sich ein Gedenkstein, unter ihren Füßen der ehemalige Kolonnenweg und links der ehemalige Todesstreifen. 

 


Nach etwa hundert Metern war eine große Tafel aufgestellt. An dieser Stelle, erfuhr Gabe, starb ein 18jähriger beim Versuch, die Grenze zu überwinden, seine Freundin trat auf eine Mine, ihr musste ein Teil des Unterschenkels amputiert werden. Augenblicklich war sie da, die Trauer, das Verbunden-Sein mit allen Müttern, die Kinder verloren hatten und auch der Schmerz wegen des Schicksals der jungen Frau, deren Leben an diesem Tag zu einem anderen geworden war.

 

Gabe las den Text der Tafel zu Ende. Dann wurde sie ruhig, sie wusste ja bereits, dass, sobald sie sich an der Grenze bewegte, die Vergangenheit sich in ihr mitbewegte. Weil sie sich berühren ließ, floss das Verstehen der Ereignisse von damals in ihr zukünftiges Handeln ein.

 



 

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