Montag, 2. Januar 2017

Hunger




Meine Freundin sagt, sie kann Leute nicht leiden, die sich immer über einen Ort beschweren und nichts dafür tun, dass es dort besser wird. Ich denke darüber nach, während im Ofen Kiefernholz verbrennt. Harziger Duft steigt aus dem Schornstein in den grauen Nebeldunst und wird von leichtem Wind in zarte Noten verwirbelt, die für einen kurzen Moment im Federkleid des Rotkehlchens haften bleiben.
Mein fragender Blick durchdringt die Fensterscheibe und fällt zwischen das Tor der beiden Kiefern auf den Silberreiher am Flussufer. Sein gelber Schnabel hat am Vortag so viel Sonnenlicht gespeichert, dass er leuchtet und in meinem Inneren eine Schale mit Wärme füllt. Endlich entspanne ich mich.
Die Erinnerung an den Fuchs auf meinem Morgenspaziergang taucht auf. Vor der Kulisse der bereiften Weiden zeichnete er sich dunkel und mit all der Beweglichkeit ab, die die Jagd auf Mäuse zu einem vollendeten Tanz werden lässt. Das Spiel seiner Ohren erzählte von den zahllosen Klangeindrücken, die er unaufhörlich mit seiner Welt verwob. Der Ruf des Reihers verband sich mit dem Aufsteigen der Krähen aus ihren Schlafbäumen. Das Singen der Luft in den Flügeln der Schwäne und das rhythmische Schwingen der Gänseformationen drangen zeitgleich mit dem Laubgeraschel des Winds und dem Springen der Fische im Fluss an sein Gehör. Auch das ferne Schlagen der Metallgießerei und die Autogeräusche waren Teil seines Lebensraums. Am nächsten war ihm jedoch das Trippeln der Mäusepfoten in den Gängen zu seinen Füßen. Er fing an zu graben, hob ab und zu den Kopf und witterte. Meine Füße waren kalt geworden und das leise Knistern meines Jackenärmels beim Verlagern des Gewichts von einem Bein auf das andere genügte, dass er aufsah und in den Wald floh.
Ich hatte ihn von der Futterquelle vertrieben und konnte später bei einem ausgiebigen Frühstück davon berichten, ein wildes Tier beobachtet zu haben.
Sicher ist er, hungrig wie ich, weiterhin auf der Suche nach Nährendem.

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