Donnerstag, 12. Dezember 2019

Wunschtraum am 12ten






Wunschtraum

Ich bin auf Negros. Boy begrüßt mich, schüttelt mir die Hand und sieht mir lange in die Augen, als suche er Williams Gesicht und Ausdruck in meinem. Ich kann es kaum glauben, ich stehe an dem Ort, der meinem Sohn so viel bedeutet hat. Ich spüre den warmen Wind, höre das Brüllen eines Wasserbüffels und die schlagenden Kolben der Pumpen hinter dem Haus. Ich sehe mich um und denke, diesen Baum hat William auch schon gesehen und vielleicht hat er ihn sogar berührt. Ich gehe hin und fasse an den hellen Stamm. Tränen steigen in mir auf, doch Boy zieht mich sacht am Ärmel und ich folge ihm durch den Hof auf die Straße. Er möchte mit mir all die Wege gehen, die er mit William gegangen ist. Er erzählt mir dabei in dem einfachen Englisch, das auch mein Englisch ist, dass er dabei von ihm erfuhr, es gäbe Länder mit Bergen aus Eis. Er führt mich auf den schmalen Pfaden durch die mannshohen Zuckerrohrfelder zu den Teichen. Sie reihen sich aneinander wie Perlen an einer Kette und am Ufer des vorletzten Fischteichs setzen wir uns auf die Bank unter dem großen Mangobaum. Wir schauen den Vögeln nach, die sich zu den bewaldeten Hängen aufschwingen und schweigen. Ich bin glücklich, hier zu sein. Der Duft von Zitronengras weht von den Hügeln heran. Am Nachmittag will Boy mit mir im Jeepney zu dem Dorf fahren, in dem die Hütte steht, in der William gelebt hat. Ob ich auf einen der inzwischen erwachsenen Hundewelpen treffe, die er damals fotografierte? Oder auf eines der Kinder, die dichtgedrängt auf der Bambusbank saßen und auf seinen Laptop schauten? Auf jeden Fall werden dort Leute sein, die ihn kannten, und sicher auch einige, die auf der improvisierten Trauerfeier waren, nachdem sie durch Zufall von Williams Tod erfahren hatten, mehr als ein Jahr danach. Wenn dann noch Zeit ist, möchte ich gern noch an den Strand. Ich will im Sand sitzen und dem Rauschen zuhören, ich brauche Zeit, um alles, was ich gesehen, gehört und gefühlt habe, in meinem Inneren hin und her wenden. 



©Barbara Biegel2019



Mein Sohn war 2012 als Freiwilliger im Rahmen von "Weltwärts"der Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GIZ  auf den Philippinen in einem landwirtschaftlichen Projekt engagiert

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